Notiz 016: Vormann#
(Sauerländer an Bord)#
von Martin KruscheIm Juni 2019 hab ich eine Notiz verfaßt, in der verschiedene Obsessionen des Sammelns zu erwähnen waren. Auf diesem schillernden Feld kann man alle Arten menschlicher Tugenden und Untugenden kennenlernen. Es ist also ratsam, die eigenen Kriterien zu schärfen und das eigene Begehren genau zu kennen, notfalls an die Leine zu nehmen.
Deshalb nannte ich die Notiz „Pharaonen und Wegelagerer“, um zwei besonders markante Typen herauszustreichen. Darunter Menschen, die dir mit süßesten Tönen viel, wenn auch nicht alles versprechen, um an Dinge in deinem Besitz zu kommen.
Doch wenn sie erfolgreich waren, wirst du dich umsehen können, ob auch nur irgendein Leistungsaustausch zustande kommt. Ich muß das nicht verstehen können. Menschen sind wie sie sind und manche brauchen eben alles Verfügbare nur für sich, werden nichts davon an andere weiterreichen können.
Ich schrieb in diesem Text dann auch vom Gegenteil dieser merkwürdigen Gier. Zitat: „Ein Puchianer wie Altmeister Fredi Thaler. Ein Techniker wie Markus Rudolf. Ein Sammler wie Ferdinand Micha Lanner. Ein Puch-Pilot wie Martin Vormann. Ein Kulturwissenschafter wie Matthias Marschik. Es ist ganz unkompliziert und reichhaltig.“ (Heute wäre auch noch Hans Sattler zu nennen, der anderen Leuten offen gegenübersteht.)
Unkompliziert und reichhaltig. Das handelt erst einmal von der simplen Klarheit, daß Wissen für einen selbst nicht weniger wird, wenn man es mit anderen teilt. Mit handfesten Dingen, Artefakten, Dokumenten, die man abgibt, verhält es sich naturgemäß nicht so, die sind dann weg. Da wird es zur Frage des Vertrauens, ob denn Besitztümer auch zu Leihgaben werden dürfen.
Ich sehe mich darin begünstigt, weil mir die letzten Jahre allerhand sehr interessante Stücke ins Haus gebracht haben, die nach einer Weile an ihre Besitzer zurückgingen. Manchmal sorgt diese Gesamtsituation auch für Überraschungen.
So hatte ich kürzlich ein anregendes Telefonat mit Martin Vormann, der im deutschen Sauerland lebt, sachkundig und engagiert ist. Ein Mann aus der Praxis. Siehe dazu etwa seine Aufzeichnung „Langstrecken-Haflinger“.
In jenem Gespräch mit Vormann habe ich ihm das Konzept erläutert, mit dem ich nun auf drei Jahre unterwegs sein will: „Tesserakt“ (Klassiker und Netzkultur). Das handelt unter anderem von einem konzentrierten Blick auf das vorige Jahrhundert, wobei die Mobiliätsgeschichte eine Art Ariadnefaden ergibt, von dem aus ich auch in andere Genres verzweige. Siehe dazu: „Hundert Jahre sind um" (Drei Jahre, drei Themenschwerpunkte)
Das heißt, dies ist einer der Schnittpunkte mehrerer Koordinaten, an denen ich unter anderem Verbindungen zwischen Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst untersuche. Wie man sieht beziehungsweise ahnen kann, begleiten mich dabei Menschen aus Theorie und Praxis, unter denen manche die Kopfarbeit, andere die Handarbeit mehr bevorzugen, viele in Mischsituationen leben.
Dabei sollte auch deutlich werden: jeder gute Handwerker hat einen scharfen Intellekt entwickelt, denn sonst könnte er in seinem Metier nichts geworden sein. Der vorzügliche Schrauber steht in Kognitionsfragen dem versierten Philosophen nichts nach, er hat bloß meist andere Themen und Aufgaben.
Zurück zu Vormann. Wir besprachen also mein Vorhaben und wo er dabei mögliche Schnittpunkte fände. Er hat 2019 seinen siebzigsten Geburtstag absolviert, war also einen großen Teil der Zeit, die hier zur Debatte steht, schon dabei. Dazu kommt seine Familiengeschichte, die einige äußerst markante Momente hat.
Hier nun das erste seiner Dokumente, ein Foto von seinem Vater als Aufklärer in Flandern (1918). Der Mann war demnach Pilot. Das ist ein brisanter Punkt. Piloten und Rennfahrer sind spätestens ab 1910 oft der Anlaß für erhebliche Volksaufläufe gewesen. Ihre Vorführungen waren bestaunte Sensationen.
Zwischen 1910 und dem Großen Krieg etablierten sich neue Produktionsmethoden, die hohe Stückzahlen ermöglichten, was wir heute als Zweite Industrielle Revolution deuten. Dies und die Traumata durch einen umfassend mechanisierten Weltkrieg haben Europa grundlegend verändert.
Das geschah in Prozessen, die seit dem 19. Jahrhundert durchgängig immer noch beschleunigen. Hier sind wir nun, in all diesen Irritationen, am Rande so mancher Überforderung, denn unsere Vorfahren wurden meist nicht alt genug, um einen fundamentalen Zeitenwandel zu erleben. Für uns ist das heute anders. Uns rennt immer öfter die Zeit davon.
Der Rückblick auf das vorige Jahrhundert folgt mehreren Intentionen. Einen Grund dafür habe ich aus meiner Zeit beim Bundesheer mitgenommen. Wer mit Kompaß, Karte und Umsicht geschludert hat, konnte sich auf Märschen gut verirren. Dazu hatte man uns eindringlich empfohlen: Wenn du dich verfranzt hast, schau, daß du in einen Abschnitt zurückfindest, wo du dich zuletzt noch ausgekannt hast.
Das ist, auf unser Leben übertragen, keine Empfehlung, alte Zeiten zu glorifizieren, in die wir nicht zurückkehren können. Es handelt von einer Rückschau, aus der wir Anregungen zur aktuellen Orientierung beziehen wollen. Unter all dem vergesse ich gerade, was heute diese Notiz veranlaßt hat. Die Paketbotin erwischte mich gerade noch und schien froh, das stattliche Paket loszuwerden, denn einfach hinterlegen dürfte sie es nicht.
Martin Vormann hat mir ein sehr nobles Präsent zugesandt. Ein alter Kalender aus dem Hause Mercedes-Benz, der einen Bogen durch Zeit- und Mobilitätsgeschichte zieht. Vormann hat auch selbst noch ein Exemplar. Diese Druckwerke wollen wir nun quasi wie zwei kommunizierende Gefäße nutzen, um einige Geschichten quer durchs Jahrhundert zu schicken.
- Mythos Puch (Startseite)
- Martin Vormann (Übersicht)