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Happy Birthday, Sir Paul! #

Ein persönliches Geburtstagsständchen zum 80er des ewig jungen Ex-Beatle.#


Von der Wiener Zeitung (18. Juni 2022) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Christian Rösner


Paul McCartney, 2018
Paul McCartney, 2018
Foto: Raph_PH. Aus: Wikicommons

Auch wenn ich Paul McCartney nicht persönlich kenne, ist er mir mein ganzes Leben lang ganz nah gewesen - und zwar mit seiner Musik, vor allem jener der Beatles. Fast zu jeder Lebenslage fällt mir eine Textpassage aus Pauls Liedern ein. Paul McCartney hat es sogar so weit gebracht, dass ich mit dem Wort "Yesterday" automatisch Rühreier in Verbindung bringe - wegen der Geschichte zu dem am öftesten gecoverten Popsong der Welt: Denn laut seinen eigenen Erzählungen hat Paul die Melodie dieses Liedes geträumt, und da er noch keinen Text dafür hatte, sang er zum Refrain "Scrambled eggs" statt "Yesterday".

Songs als Tagebuch#

"Im Traum habe ich die Melodie gehört. Als ich wieder aufgewacht bin, dachte ich: Die Melodie gefällt mir. Was ist das? Ist das Fred Astaire? Cole Porter? Was ist das? Ich bin aus dem Bett gesprungen, das Klavier stand ja direkt daneben, und habe versucht, den Song nachzuspielen (...) Um ihn mir besser merken zu können, habe ich mir irgendeinen Unsinn als Platzhalter ausgedacht: Scrambled eggs, oh my baby, how I love your legs, scrambled eggs." Das schreibt Paul in seinem vor kurzem auch auf Deutsch erschienenen Buch "Lyrics" (Verlag C.H. Beck, 2021), in dem er sein Leben anhand seiner Songs beschreibt - Songs als eine Art Tagebuch, die ihn an alle wichtigen und auch unwichtigen Ereignisse erinnern (lassen).

Aber das ist nicht nur bei ihm so - tatsächlich erinnert auch mich jedes seiner Lieder an bestimmte Ereignisse, bestimmte Stimmungen in meinem Leben. Denn seine Musik begleitet auch mich schon mein Leben lang.

"Michelle" und "Yellow Submarine" tönten oft am Sonntag aus den Boxen der Pioneer-Stereoanlage in der Ottakringer Gemeindewohnung, während meine Mutter das Frühstück machte. Und es knackste weniger als sonst vom Plattenspieler, weil mein Vater gerade einer Modeerscheinung nachgab und die Vinylplatten "nass" spielte. Das ganze Wohnzimmer roch nach der alkoholischen Flüssigkeit, die - wie sich später herausstellen sollte - mehr die Rillen verklebte als für einen besseren Klang zu sorgen. Ich sang immer mit, auch wenn ich die Sprache nicht verstand - so klang es dann mehr nach "Musch-el" oder "Hello Samarin".

Das war 1979. Da war Paul McCartney 37 Jahre alt und schon lange mit den Wings unterwegs. Ich war fünf und die Beatles gab es nicht mehr. Für mich waren aber gerade sie der Grund, warum ich als Bub Gitarrespielen lernen wollte. Mit 10 Jahren konnte ich das "Beatles-Complete-Songbook" durchspielen, also zumindest die Akkordbegleitungen. In dieser Zeit, vom Wechsel von der Volksschule ins Gymnasium, lernte ich einen meiner heute ältesten und engsten Freunde kennen, mit dem ich meine Begeisterung teilen konnte. Er hatte sogar Songbooks von Paul McCartneys Soloprojekten bei sich zu Hause.

Als wir elf waren, begannen wir eigene Songs zu schreiben: Er war John Lennon, ich Paul McCartney. Er, der coole Wilde, ich der höfliche Brave - obwohl wir schon damals die Biografien gelesen hatten und wussten, dass diese Stereotypen so nicht stimmten. Cool und wild wollten wir alle sein - Paul und John waren es wirklich.

Die Platten meines Vaters wechselten schnell ihren Standort vom Wohnzimmer ins Kinderzimmer - das "Rote Album" (1962 bis 1966), das "Blaue Album" (1967 bis 1970), "Rubber Soul" (1965), "Revolver" (1966), "Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band" (1967), mein Favorit: "The White Album" (1968), "Abbey Road" (1969), "Let It Be" (1970) usw. Und die Alben, die fehlten, wurden gesucht, gekauft, ausgeborgt ... und manchmal auch nicht mehr zurückgegeben: "let me tell you how it will be - there’s one for you, 19 for me ..." ("Taxman" 1966).

Ottakring statt Liverpool#

Unser gesamtes Musikverständnis - der Aufbau eines Songs, die Tricks, am Schluss von Moll in Dur zu wechseln, um den Song spannender zu machen, der unverwechselbare Intervallgesang, das melodiöse Bass-Spiel von McCartney und die Zwei-Finger-Technik auf der Gitarre, etwa bei "Blackbird" - all das haben wir uns penibel abgeschaut. Wir haben auch Englisch gelernt mit den Beatles-Songs, weil wir alles verstehen wollten - und unsere eigenen Texte ließen wir von unserer Englisch-Professorin verbessern.

Meine Beatles-Schätze...
Meine Beatles-Schätze...
Foto: © Rösner

Die ersten Songs haben wir mit einem Fostex-Vierspurrekorder aufgenommen, für den wir monatelang jeden Groschen beiseitegelegt hatten. Mit den "Waterscales" (der kreative Hintergrund des Bandnamens: Mein Sternzeichen ist Wassermann, das meines musikalischen Mitstreiters Waage) wollten wir irgendwann einmal durchstarten. Nicht von Liverpool hinaus in die große, weite Welt, sondern von Ottakring beziehungsweise Penzing aus: "Baby, you can drive my car - Yes, I’m gonna be a star - Baby, you can drive my car - And maybe I’ll love you" (1965).

Doch die Tatsache, dass Sie meinen Namen nur wegen der obenstehenden Autorenzeile dieses Artikels nunmehr kennen, lässt schon vermuten, dass daraus nichts geworden ist und ich letztlich in der schreibenden Zunft gelandet bin. "It’s a thousand pages, give or take a few - I’ll be writing more in a week or two - I could make it longer if you like the style - I can change it ’round - And I wanna be a paperback writer - Paperback writer" (1966).

Trotzdem waren es John Lennon - und besonders für mich - Paul McCartney, die uns musikalisch geprägt haben. Und mit uns viele weitere Generationen. Es gibt wohl kaum Größen aus der U-Musik-Szene, die auf die Frage, wer sie musikalisch beeinflusst hat, auf die Nennung der Beatles verzichten würden. Diese vier Musiker waren einfach absolute Ausnahmeerscheinungen. Hits auch für andere

Mit mehr als einer Milliarde verkauften Tonträgern sind sie nach wie vor die erfolgreichste Band der Musikgeschichte. Sie waren kein von der Plattenindustrie entworfenes und zusammengewürfeltes Marketing-Produkt, das sich ausschließlich nach Marktansprüchen orientierte. Es ging bei ihnen auch nicht um Glück oder das Verlangen, unbedingt berühmt werden zu wollen, denn eigentlich hätte es Paul McCartney schon gereicht, ein erfolgreicher Songwriter zu werden. Damit hätte er genug verdient - immerhin hat er mehr als 70 Hits geschrieben.

Als sie anfingen, eigene Lieder zu schreiben, wollten Paul und John einmal "so groß" werden wie Rodgers und Hammerstein - ein in den 1950er Jahren berühmtes Songwriting-Team, bestehend aus dem Komponisten Richard Rodgers und dem Liedtexter Oscar Hammerstein. Paul und John wollten nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere Künstler Hitlieferanten werden. Als ihr Manager Brian Epstein neben den Beatles noch andere Bands verpflichtete, sprangen die beiden nicht selten mit Kompositionen in die Bresche, für die sie selbst keine Verwendung hatten.

So stammt etwa der Song "A World Without Love" des britischen Duos Peter & Gordon (1964) aus der Feder von Paul McCartney. Dieses Lied hatte er im Alter von 16 Jahren geschrieben, aber es erschien ihm nie gut genug, um auf einer Beatles-Platte zu erscheinen, also überließ er es seinem damaligen Fast-Schwager Peter Asher - und der schaffte es damit sowohl in den britischen, als auch in den US-Charts auf Platz 1. McCartney schrieb u.a. auch Songs für Carlos Mendes ("Penina"), Badfinger ("Come And Get It"), Cilla Black ("Step Inside Love") oder Billy J. Kramer ("From A Window").

Regnerisch wie in Liverpool: Auftritt der Waterscales in grauer Vorzeit (mit dem Autor rechts...)
Regnerisch wie in Liverpool: Auftritt der Waterscales in grauer Vorzeit (mit dem Autor rechts...)
Foto: © privat

Zu den erfolgreichsten Kompositionen, die McCartney bei den Beatles zugeschrieben werden, gehören natürlich "Yesterday", "Penny Lane", "Hey Jude", "Eleanor Rigby" und "Let It Be". Nach den Beatles kamen Welthits wie "Ebony And Ivory" mit Stevie Wonder, "Say Say Say" mit Michael Jackson, "Mull Of Kintyre" mit den Wings und der James-Bond-Song "Live And Let Die" hinzu.

Auf jeden Fall war McCartney auch der vielseitigste Instrumentalist der Beatles. Neben Gesang und Bass spielte er bei Aufnahmen oft noch Gitarre, Klavier, Mellotron ("Strawberry Fields Forever") und auch Schlagzeug (z.B. bei "Back In The USSR", weil es damals Streit mit Ringo Starr gab, oder bei "Dear Prudence" und "The Ballad Of John And Yoko").

John - und noch mehr Paul - waren absolute Arbeitstiere, von ihrer Musik getriebene Enthusiasten. Ihrem Welterfolg vorangegangen waren unendlich viele Bühnenstunden. Sie spielten auf der Reeperbahn in Hamburg sechs Monate lang sechs bis acht Stunden pro Tag (und Nacht) - und das sieben Tage die Woche (damals noch mit Stuart Sutcliffe am Bass und Pete Best am Schlagzeug). "It’s been a hard day’s night - And I’ve been working like a dog - It’s been a hard day’s night - I should be sleeping like a log" (1964). (Wer meint, "Eight Days A Week" hätte an dieser Stelle besser gepasst, liegt falsch, denn das ist doch mehr ein Liebeslied.) Genau am Punkt

Wenn die Beatles nicht gerade auf der Bühne standen, haben sie auf engstem Raum gemeinsam gewohnt. Und dort ist mehr Musik entstanden, als die meisten Berufsmusiker in ihrem halben Musikerleben zu erzeugen in der Lage sind. Und es ist ein Zusammenspiel entstanden, das so viele Menschen wie nie zuvor begeisterte. Die Beatles waren die erste Band, die Massenhysterien bei Konzerten auslösten; Auftritte mussten oft frühzeitig beendet werden, weil das Publikum völlig außer Kontrolle geriet.

Auch nach dem Ende der Beatles hat Paul mit den Wings und seinen eigenen Liedern stets für ausverkaufte Konzerthallen gesorgt und den Erfolg mit bis in die Gegenwart genommen, als wäre er sein großer Bruder.

Selbst im nunmehr hohen Alter ist Paul umtriebig wie eh und je. "If I’d been out till quarter to three - Would you lock the door - Will you still need me, will you still feed me - When I’m sixty-four" (1967). Noch immer füttert er die Welt mit seinen Songs. Und seine Kraft scheint unerschöpflich. Wer ihn 2018 in der Wiener Stadthalle gesehen & gehört hat, weiß, wovon hier die Rede ist: Drei Stunden Vollgas bis zum Schluss - und auch mit deutlich hörbarer heiserer Stimme trifft er noch immer jeden Ton genau am Punkt.

Lieber Sir Paul McCartney, auch wenn Du mich nicht kennst und das nie lesen wirst, möchte ich Dir - so wie auch alle Deine Millionen Fans - alles Gute zum Geburtstag wünschen. Und möchte mich persönlich bedanken für Deine Musik, die mich, wie gesagt, schon mein Leben lang begleitet - und das hoffentlich noch ein Weilchen tun wird. "I would like you to dance, birthday - Take a cha-cha-cha-chance, birthday - I would like you to dance, birthday - Dance" (1968).

Christian Rösner-El-Heliebi, geboren 1974, ist Leiter des Wien-Ressorts in der "Wiener Zeitung" und Mitbegründer des Musiklabels Fabrique Records.

Wiener Zeitung, 18. Juni 2022