Nicht Schönklang, Klangrede#
Mit freundlicher Genehmigung der Furche vom Donnerstag, 3. Dezember 2009
von
Walter Dobner
Alleine mit seiner Biografie ließe sich Furore machen. Wer hat schon den Habsburger-Herrscher Leopold II. und den legendären Erzherzog Johann, Sohn von Leopold und Bruder von Kaiser Franz II. (I.), als prominente Vorfahren? Nikolaus Harnoncourt, korrekt: Johann Nicolaus Graf de la Fontaine und d’Harnoncourt-Unverzagt, hat daraus nie Kapital gezogen. Stets ist er seinen eigenen Weg gegangen, hat bewusst Schwierigkeiten in Kauf genommen.
In Berlin geboren und in der Steiermark aufgewachsen, war Harnoncourt siebzehn Jahre Mitglied der Wiener Symphoniker. Karajans Angebot, auf das erste Cellopult zu wechseln, lehnte er ab. Schließlich verärgerten ihn oberflächliche Aufführungen von Bachs Matthäus-Passion und Mozarts großer g-Moll-Symphonie so, dass er seine Tätigkeit als Symphoniker-Cellist beendete. „Ich wollte die nie wieder in meinem Leben so spielen müssen.“ Wer damals dirigiert hat, sagt er bis heute nicht. Nur so viel: Es war ein prominenter Vertreter seines Fachs. Das war 1969. Längst war Harnoncourt dabei, sich ein anderes Standbein zu erarbeiten. Schon während seiner Studienjahre hatte er mit Eduard Melkus, Alfred Altenburger, dem späteren Vorstand der Wiener Philharmoniker, und Alice Hoffelner, seiner späteren Frau, das Wiener Gamben-Quartett gegründet – beeinflusst von Josef Mertin, dem Wiener Experten für Alte Musik. Die dabei gemachten Erfahrungen, das Studium von Quellen, das Musizieren auf alten Instrumenten, verbunden mit Fragen historischer Aufführungspraxis und damit nach den ursprünglichen Intentionen der Komponisten, haben ihn seitdem nicht mehr losgelassen.
Dorniger Weg#
Anfang der 1950er Jahre gründete er das Ensemble Concentus musicus, dessen Namen einer seiner allerersten Mitstreiter, der Regisseur Federik Mirdita, erfand. Mit ihm realisierte er anlässlich der Wiener Festwochen 1971 im Theater an der Wien auch seine erste Operneinstudierung, Monteverdis „Il ritorno d’Ulisse in patria“. Im selben Jahr offerierte ihm Telefunken einen Exklusivvertrag und ermöglichte ihm zusammen mit Gustav Leonhardt eines der ehrgeizigsten Projekte der Plattengeschichte: die Gesamteinspielung der Bach-Kantaten. Bis heute die Referenzaufnahme. Der Weg dazwischen war dornig. Zwar kam es schon 1954, ein Jahr nach der Gründung des Concentus musicus, zu einem ersten Auftritt; damals unter der Bezeichnung „Ein Instrumentalensemble“ anlässlich einer von Paul Hindemith (!) dirigierten Aufführung von Monteverdis „Orfeo“. So richtig begann die Karriere von Harnoncourt und seinem „Concentus“ aber erst 1958 mit Auftritten im Palais Schwarzenberg. Später zeigten das Wiener Konzerthaus, ab 1973 der Wiener Musikverein Interesse. Damals hatte Harnoncourt auch schon sein Dirigentendebüt hinter sich: mit „Il ritorno d’Ulisse“ an der Piccola Scala in Mailand. 1973 begann er auch seine schließlich zwanzig Jahre währende Tätigkeit als Professor an der Musikhochschule Mozarteum. Was die Zukunft anlangt, gab er erst kürzlich in einer Pressekonferenz zu Protokoll, sei er Pessimist. Als Musiker war er das nie. Hier hatte er nie Zweifel, dass es gelingen wird, Wissenschaft, Musiker und Publikum von seiner Art des Musizierens zu überzeugen. Sonst hätte er nicht Stunden, Wochen und Monate in Archiven verbracht, sich in Literaturstudien vertieft, Ausschau nach alten Instrumenten gehalten und nach Kollegen, die sich damit befassen wollen. Er hätte sich nicht auf einen Monteverdi-, später einen Mozart-Opern-Zyklus mit Jean-Pierre Ponnelle an der Zürcher Oper eingelassen, wo er im Vorhinein wissen musste, dass er mit seinen neuen Spielerkenntnissen nicht nur auf Zustimmung stoßen würde. Was tut man nicht alles, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen! Als man schließlich nicht mehr umhinkonnte, Harnoncourt als Autorität in Sachen Alte Musik zu akzeptieren, war es dann keine Überraschung, dass er seine akribische Neugier auch auf spätere Epochen ausweitete, sich explizit als Romantiker präsentierte. Auch bei Schubert und Schumann, Brahms und Bruckner, Berg, Carmens „Bizet“ oder Gershwins „Porgy and Bess“ wurde er nie müde, auf von ihm Neu- oder Wiederentdecktes hinzuweisen und es in der Praxis entsprechend vorzuzeigen. Keine noch so kritische Stimme konnte ihn vom einmal eingeschlagenen Weg abbringen. Nicht der sich ob Harnoncourts Mozarts alterierende Karl Böhm, auch nicht der damals führende deutsche Musikwissenschafter Carl Dahlhaus. „Muss man die Rezeptionsgeschichte, die aus Veränderungen des Ursprünglichen bestand, prinzipiell als Verfallsgeschichte auffassen, die es rückgängig zu machen gilt?“, kleidete er anlässlich des Erscheinens von Harnoncourts zweitem Buch, „Der musikalische Dialog“, seine Skepsis in eine unmissverständliche Frage. Aufsehen hatte Harnoncourt schon mit seinem ersten Buch erregt, nicht zuletzt mit dem Titel: „Musik als Klangrede“. In diesem Wort findet sich seine, wenn man so will, musikalische Ideologie trefflichst zusammengefasst.
In der Musik, kritisierte er, werde lediglich die Schönheit gesucht. Gelehrt werde auf den Hochschulen „nur die Technik der Musikmachens; das Skelett der Technokratie, ohne Leben“. Dem stellte er seine Forderung entgegen: Musik müsse als Sprache gelehrt werden.
Unmittelbar bewegende Intensität#
Ebenso wichtig wie die Klangrede ist es für Harnoncourt, nur jene Musik aufzuführen, die „heutigen Hörern und Musikern etwas Relevantes zu sagen hat“. Unbekanntes schließt das nicht aus. So hat er Schumanns „Genoveva“ wiederentdeckt und sich für dessen „Das Paradies und die Peri“ stark gemacht. Er hat nachgewiesen, wie viel Meisterschaft in Schuberts „Des Teufels Lustschloss“ steckt und den „Zigeunerbaron“ von allen scheinbaren Traditionen entschlackt, ihm damit seine ursprüngliche Gestalt zurückgegeben. Auch das romantische Konzertrepertoire und Werke der klassischen Moderne, die er mit so unterschiedlichen Klangkörpern wie den Wiener und Berliner Philharmonikern, dem Concertgebouw Orkest oder dem Chamber Orchestra of Europe aufgeführt hat, klingen unter seinen Händen anders: konziser in den Konturen, transparenter, meist zügiger in den Tempi – und ohne den bis dahin gewohnten romantischen Ballast, womit diese Stücke erst Jahrzehnte nach ihrer Entstehung aufgeladen wurden. Selbstredend, dass solches Stürme der Entrüstung, ebenso Staunen hervorgerufen hat. Nach und nach aber auch ein Umdenken. Denn Harnoncourt hat im Laufe der Jahre im Konzert wie auf Platte immer wiederdemonstriert, dass er selbst nicht dogmatisch bei einer Interpretationsantwort bleibt, sondern diese immer wieder überprüft. Ein Geheimnis, weshalb seine Deutungen, egal von welchem Standort man sie beurteilt, stets frisch und von unmittelbar bewegender Intensität sind. Solches kann niemanden ungerührt lassen. Die einen nennen den auf Medien bestdokumentierten Dirigenten der Gegenwart „unerbittlichen Unruhegeist“, andere einen „Besessenen“. Manche geben ihm Attribute wie „Prediger“, „Missionar“, „unablässigfordernder Geist“. In allem steckt ein Körnchen Wahrheit. Trotzdem sind es nur Mosaiksteine, um jenen Mann zu beschreiben, dem es schlicht und einfach um das Eine geht: die Wahrheit in der Musik.