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LD-Verfahren: Die Revolution, die aus Linz kam #

Eine Erfindung aus Linz hat nicht nur die Voestalpine, sondern die gesamte Stahlindustrie verändert. 60 Jahre später dominiert das Linz-Donawitz-Verfahren die weltweite Produktion.#


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: Die Presse (Samstag, 14. April 2012)

Von

Hedi Schneid


Der Zufall spielte – wie so oft bei bahnbrechenden Entdeckungen – auch an diesem 25. Juni 1949 in Linz eine wichtige Rolle. Natürlich wurde nicht nur bei der Voest schon lange experimentiert, um ein effizienteres Verfahren zur Stahlherstellung zu finden. Bei einem dieser Versuche strömte aus einem zufällig entstandenen Loch in dem „Blasrohr“, mit dem Luft in den mit Roheisen und Schrott befüllten Behälter geblasen wird, reiner Sauerstoff aus einer Entfernung von rund 40 Zentimetern auf die Mischung – und der Erfolg war durchschlagend. Der Grundstein für das LD-Verfahren war gelegt – und Österreich um „eine der wichtigsten Industrieerfindungen, die jemals in diesem Land gemacht wurden“, wie Voestalpine-General Wolfgang Eder sie nennt, reicher.

Die neue Technologie kam nicht nur genau zum richtigen Zeitpunkt – der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg erhöhte den Bedarf nach Stahl in ganz Europa schlagartig. Sie eröffnete dem gerade erst von Herrmann-Göring-Werken in Voest unbenannten Stahlkocher völlig neue Chancen. Die der Konzern nutzte – trotz der Probleme, die der jahrzehntelange Staatsbesitz später mit sich brachte. Schon ein halbes Jahr nach den erfolgreichen Versuchen fiel der Beschluss, ganz auf die neue Technologie zu setzen, zwei Jahre später ging am 27. November 1952 das erste LD-Stahlwerk der Welt in Betrieb.

Ohne Computer und Simulation. „Die Innovation hat nicht nur die Voest und die Stahlindustrie, sondern die Welt verändert“, sagt Eder nicht ohne Stolz. Erst die Entwicklung von Stahl in Spitzenqualität sowie neue Gußtechnik- und Beschichtungsverfahren hätten Revolutionen in der Automobil- und Flugzeugindustrie sowie im Eisenbahnwesen möglich gemacht.

„Es gab keine Computer, keine Simulationsverfahren, man hat nach ,Trial and Error‘ probiert“, beschreibt Eder bei einem Rundgang durch die von der Voest gestaltete Sonderausstellung „60 Jahre LD-Verfahren – eine Innovation verändert die Welt“ die damalige Vorgangsweise. „Kein Aufsichtsrat der Welt würde heutzutage so einen kompletten Strategieschwenk genehmigen, ohne dass er nicht hundertmal durchgerechnet worden wäre.“ Diesen Pioniergeist und die Entscheidungsgeschwindigkeit würde sich der Konzernchef auch heute wünschen – auch von Politikern.

Ein Argument dürfte Eders Vorgänger in der Konzernführung in den 1950er-Jahren besonders rasch überzeugt haben: Die Kosten der Stahlherstellung und die dafür notwendigen Investitionen liegen beim LD-Verfahren um 30 bis 50 Prozent unter früheren Techniken. Die Voest sicherte sich damit einen enormen Wettbewerbsvorteil. Erst zwei Jahre später starteten die ersten LD-Stahlwerke in Kanada und den USA. Außerdem ist LD-Stahl zu hundert Prozent wiederverwertbar.

Reich wurden vorerst allerdings weder die Erfinder noch die Voest – wenn man damit direkte Erlöse in Millionenhöhe versteht. Denn dem LD-Verfahren war ein typisch österreichisches Erfinderschicksal beschieden: Zuerst wurde um die Urheberschaft gestritten, denn gleich mehrere Erfinder aus der Schweiz, Deutschland und Österreich forschten an derselben Materie. Es war der für die Qualitätsprüfung in Linz zuständige Hubert Hauffmann, der das Patent anmeldete. Im Patent, das unter der Nummer 168589 am 15. Dezember 1950 erteilt wurde, schien Hauffmann aber nicht als Erfinder auf. Die folgenden heftigen Meinungsverschiedenheiten beendete die Voest mit einem cleveren Zug: Sie meldete alle beteiligten Mitarbeiter als „Miterfinder“ nach.

Streit um Patente. Auch über die Bedeutung der Abkürzung LD war man sich nicht einig. Zuerst sprach man von „Linz-Durrer“ nach dem Schweizer Robert Durrer, der schon in den 1930er- Jahren Versuche machte. Die Voest bevorzugte dann „Linzer Düsenverfahren“, bis sich ab 1950 „Linz-Donawitz“ durchsetzte, weil an beiden Standorten des Konzerns das Verfahren zur Industriereife entwickelt worden war.

Letztlich tobte eine jahrelange Auseinandersetzung um die internationale Anerkennung des Patents. Die US-Firma H. A. Brassert pochte auf das in ihrem Besitz stehende „Schwarz-Patent“. Obwohl sich dieses von dem Voest-Patent deutlich unterschied, wollten es die Linzer auf keinen Rechtsstreit mit der US-Besatzungsmacht ankommen lassen. Sie gründeten mit Bassert 1952 ein Gemeinschaftsunternehmen, die BOT in Zürich, über die die Lizenzen vertrieben wurden. 1956 verkaufte Bassert seine Anteile an die Voest.

In den USA wurde das Voest-Patent dennoch nicht anerkannt. Nahezu 20 Jahre kämpfte die Voest vor Gerichten – vergebens. „Wir haben den Streit erst gewonnen, nachdem das Patent 1970 abgelaufen war“, erzählt Eder. Die US-Stahlindustrie hat sich dadurch mindestens drei Milliarden Dollar an Lizenzkosten erspart.

Den weltweiten Siegeszug der Innovation made in Austria konnten all diese Querelen nicht aufhalten. Heute werden 70 Prozent der weltweiten Stahlproduktion von 1,5 Milliarden Tonnen im LD-Verfahren hergestellt. Das wird sich auch nicht so bald ändern. Ein neues besseres Verfahren zur Stahlerzeugung sei weit und breit nicht in Sicht – trotz intensiver Forschungen, wie Voest-Forschungsschef Peter Schwab erklärt.

Für die Voest hat sich das Wagnis, auf eine völlig neue Technologie zu setzen, längst ausgezahlt und völlig neue Perspektiven eröffnet. Der Linzer Konzern ist weltweit Technologieführer und hat als Produzent ausschließlich hochwertiger Stähle auch die Wirtschaftskrise ganz gut übertaucht – einzig der massive Nachfrageeinbruch in der Automobilindustrie machte in den Jahren 2008/09 rigorose Sparmaßnahmen erforderlich.

Eder lässt auch keine Gelegenheit aus, darauf hinzuweisen, dass die Voest längst nicht mehr nur Stahlproduzent sei, sondern ein global aufgestellter Hightech-Konzern. Über 400 Stahlsorten werden heute in Linz produziert, mit maßgeschneiderten Eigenschaften. So gut wie alle europäischen Hochgeschwindigkeitszüge donnern über Schienen und Weichen der Voest. Bei Hochgeschwindigkeitsweichen und speziell gehärteten Schienen mit 120 Meter Länge dominieren die Linzer den Weltmarkt – genauso wie bei Werkzeugstahl. Der kommt aus dem Hause Böhler-Uddeholm. Die Edelstahlschmiede wurde 2007 von der Voest in einer spektakulären Abwehraktion gegen den Fonds CVC gekauft.

3500 Patente. Hart und leicht – diese Eigenschaften bei Stahl sind in der Automobilindustrie gefragt. „phs-ultraform“ heißt das patentierte Produkt, das den Karosseriebau revolutioniert hat. Aber auch Weltrekorde bei Tiefsee-Pipelines – wie bei der gerade in 3000 Meter Tiefe im Bau befindlichen Pipeline zwischen Algerien und Italien – sind nur auf Basis einer Weiterentwicklung des LD-Verfahrens möglich. Die Rohre sind aus säuregasbeständigem Grobblech, das dem hohen Druck in großen Tiefen standhält. Diese Entwicklung stammt aus den 90er-Jahren.

3500 Patente besitzt die Voest derzeit – und alljährlich kommen neue hinzu. Das Hirnschmalz der 670 konzerneigenen Forscher wird „geschmiert“ von einem Rekordforschungsbudget von 132 Millionen Euro. Das ist dreimal mehr, als in der Stahlindustrie üblich. Leisten kann sich das die Voest leicht – bei einem Betriebsergebnis von knapp einer Milliarde Euro. Insofern hat das LD-Verfahren die Linzer doch reich gemacht.

Die Presse (Samstag, 14. April 2012)


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