Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!

unbekannter Gast

Der erste Marcus-Wagen - ein motorisierter Handwagen#

Günter Rott

(erstmals erschienen in anderer Fassung in "Austro Classic", Juni 2003, Kierling, Österr.)

Was die Bekanntheit betrifft, wurde der Erste Marcus Wagen lange vom Zweiten Marcus Wagen überschattet. Und das zu unrecht, denn mit seinem ersten Wagen hat Siegfried Marcus unbestritten einen großen Schritt in Richtung Benzinautomobil gemacht. Cugnot hat 1770 den ersten "Selbstfahrer", einen Straßendampfwagen gebaut, der noch im Originalzustand erhalten ist. Der Schweizer Rivaz kam angeblich 1813 mit einem gasbetriebenen Wagen auf einer 9-prozentigen Steigung 26 m weit. Der in Frankreich lebende Belgier Lenoir hat nach eigenen Angaben 1863 den ersten mit einem Verbrennungsmotor angetriebenen Straßenwagen geschaffen, der bereits eine Entfernung von ca. 18 km und zurück bewältigte. Als Treibstoff diente in Flaschen mitgeführtes Leuchtgas.

Folgt man primären Geschichtsquellen, hat Siegfried Marcus als erster Benzin als Treibstoff für mobile Zwecke verwendet und 1870 in Wien das erste Straßenfahrzeug mit einem Benzinmotor gebaut. Ob es sich dabei um das erste Benzinauto der Welt gehandelt hat, hängt davon ab, was man unter einem Automobil versteht. Das Fahrzeug war nichts anderes als ein Handwagen, dessen Hinterräder durch die Schwungräder des auf dem Fahrzeug aufrecht stehenden Motors ersetzt wurden. Ergo fehlten Kupplung, Getriebe, Lenkung und Bremsen. Es gibt auch keine Konstruktionszeichnungen. Allerdings lassen die vorhandenen Fotos, auf denen auch der Hintergrund genau abgebildet ist, das Aussehen des Fahrzeuges recht genau rekonstruieren. So hat der jüngste Nachbau im Heimatmuseum von Malchin in Mecklenburg-Vorpommern, der Geburtsstadt von Marcus, folgende Daten: Länge 237 cm, Höhe 226 cm, Durchmesser der Schwungräder 84 cm, Durchmesser der Vorderräder 58 cm, Achsabstand 142 cm. Der Zylinderdurchmesser des Motors beträgt 10 cm. Auch in der Siegfried-Marcus-Berufsschule in Wien kann ein solcher Nachbau schon längere Zeit bewundert werden.

Über den Verbleib des originalen Motors ist nichts bekannt und nach dem Handwagen wird nicht weiter gefragt.

Das Fahrgestell:

Das meiste sieht man auf den Bildern. Zur Zeit als der Wagen entstand, hatte Marcus seine Werkstätte im Obergeschoss des Hauses Mariahilferstr. 107. Um das Transportieren des Motors zu erleichtern, vereinfachten herausziehbare Keile das Abnehmen der Räder. Wie das Fahrzeug gelenkt wurde, ist unklar. Ein Nebenherlaufen und Steuern ist wegen der errechneten Geschwindigkeit von rd. 15 km/h kaum vorstellbar. Vielleicht wurde nach Lehrbubenart die Deichsel mit den Beinen bewegt. Es ist auch möglich, dass der Wagen kurze Strecken einfach ungesteuert - ungebremst sowieso - dahin rollte. Zum Unterschied vom späteren, verdichtenden Benzinmotor bremste der verdichtungslose Motor auch nicht, wenn er abstarb. Im Vergleich zum Zweiten Marcus Wagen war das Vehikel sehr leicht, sonst wäre die ermittelte Geschwindigkeit nicht erreichbar gewesen und der Wagen nicht fahrbar.

In "Ackermann's Illustrierte Wiener Gewerbe-Zeitung" (Petroleum - Motoren, 1890) ist aber von Fahrten mit zwei Passagieren im September 1870 in der Mariahilferstraße, Neubaugasse, Westbahnstraße und Kaiserstraße die Rede. Auch Jonasz - siehe später- spricht von Fahrten in den Straßen Wiens. Es ist daher nicht auszuschließen, dass Marcus nach den Fotoaufnahmen einen Sitz auf den Wagen stellte und eine Lenkstange anbrachte.

Der Motor:

Es handelt sich dabei um einen direkt, d.h. über einen Kurbeltrieb wirkenden, verdichtungslosen Motor. Dieser Typ war nicht neu, sondern der Stand der Technik zwischen 1860 und 1875. In der Zeit von 1861 bis 1865 wurden der ähnlich arbeitende Lenoir - Motor etwa 400 mal produziert und verkauft. Die Wirtschaftlichkeit war aber drei mal schlechter als von leistungsmäßig vergleichbaren Dampfmaschinen. Otto-Langen in Deutz bauten zwischen 1867 und 1876 gemeinsam mit ihren Lizenznehmern fast 5000 Stück als sogenannte Freikolbenmotoren, die keinen Kurbeltrieb hatten. In diesem Fall war der Kolben mit einer Zahnstange verbunden, welche die Bewegung über einen Freilauf an das Schwungrad weiter gab. Diese Kraftmaschinen wurden für kleiner Betriebe gebaut, die keine Dampfmaschinen nutzen wollten oder konnten und mit dem in den Städten überall verfügbaren Leuchtgas betrieben. Ein weiterer Nutzen bestand in der schnelleren Inbetriebsetzung (den kleinen Elektromotor gab es damals noch nicht). Über dem Kreuzkopf, das ist

die Verbindung des gefederten Kolbens mit den Schubstangen, ist beim Marcus-Motor eine Bremsvorrichtung zu erkennen. Sie sollte ein Durchschlagen des Kopfes bei zu hoher Umdrehungszahl verhindern. Das besondere neue konstruktive Merkmal war die kegelförmige Federvorrichtung .zur Neutralisierung der Explosionsstöße. zwischen Kolbenstange und Kreuzkopf, sie ist auf allen Bildern deutlich zu erkennen. Auf die Bremse und die Feder hat Marcus bei späteren Motoren wieder verzichtet. Die Gestaltung beruht auf der bei Kleindampfmaschinen gebräuchlichen Tischbauart. Die Aufschrift .Patent-Gas-Locomobile, Siegfried Marcus, Wien. entsprach nicht den Tatsachen. Es war nur der Vergaser privilegiert und nicht der Motor oder dessen mobile Anwendung.

Es ist nicht bekannt, wie die Gaszufuhr beim Marcus-Motor gesteuert wurde. Schieber sind anzunehmen. Wie bei allen anderen verdichtungslosen Motoren auch, saugte der Kolben bei der Aufwärtsbewegung vom unteren Todpunkt das Kraftstoff - Luftgemisch an. Nach etwas mehr als einem Drittel des Weges schloss der Einlass, der Motor zündete und der Kolben ging bis zum oberen Todpunkt. Nach der Verbrennung entstand im Zylinder ein Unterdruck, die durch das Schwungrad gespeicherte Energie und der atmosphärische Aussendruck schoben den Kolben nach unten. Dabei öffnete der Auslass. Daher werden solche Motoren auch atmosphärische 2-Takt Motoren genannt. Der Begriff ist irreführend, da die Maschine nicht mehr mit einem heutigen Zweitaktmotor gemein hat, als bei jedem Hub zu zünden. So wie hier beschrieben, steht der Motor auf dem Kopf, d.h. Steuerung und Zündung sind unten.

Das Jahr 1870 spricht für einen galvanischen Zünder. In seiner Privilegienschrift aus 1883 "Verbesserung an Explosionsmotoren" schreibt Marcus jedoch : "Die elektrische Zündung von Knallgas in Explosionsmotoren wurde bisher nur unter Zuhilfenahme von elektromagnetischen Funkeninduktoren sogenannten Ruhmkorffschen Apparaten unter Anwendung von galvanischen Elementen (System Lenoir) bewerkstelligt ... Dies bewog mich schon im Jahr 1873 die Erzeugung des elektrischen Stomes ohne Batterie, u. zw. Mittels Magnetinduktors anzustreben, welcher durch den Motor selbst betrieben wird". Dieser Zünder wurde auch im Bericht von Radinger über den Motor von 1873 angeführt. Folgt man Marcus, hat er für den Motor von 1870 daher noch keinen Magnetzünder. Auf der Fotografie sind bei entsprechender Vergrößerung die Magnetstäbe des Zünders erkennbar. Daher hatte der Motor einen Magnetzünder. Woraus folgt, dass entweder in der Patentschrift irrtümlich ein späteres Jahr (1873) genannt wurde, oder, weniger wahrscheinlich, die Aufschrift auf dem Bild ein falsches Jahr nennt und die Konstruktion jünger als aus 1870, nämlich aus 1873 ist.

Der Vergaser war ein Oberflächenvergaser. In einem Behälter verflüchtigte, d.h. verdampfte Benzin in einem System von Kapillaren zum Unterschied vom späteren Spritzbürstenvergaser des Zweiten Marcus Wagens, und auch zum modernen Vergaser, bei dem es zerstäubt wird. Der Motor wurde lediglich durch die große Oberfläche des Zylinders gekühlt, Kühlrippen oder eine Wasserkühlung gab es nicht.

Die Leistung wird von Hardenberg unter Annahme eines Hubvolumens zwischen 3,2 und 4 dm. (3,2 bis 4 Liter!) und einer Drehzahl zwischen 100 bis 200 U/min auf 0,3 bis 0,35 kW (knapp 0,4 bis 0,5 PS), geschätzt.

Bei einer Umdrehungszahl von 100 Umdrehungen/Minute erreichte das Fahrzeug die beachtliche Geschwindigkeit von ca. 15 km/h, was sich über den geschätzten Durchmesser der Räder leicht errechnen lässt. Wahrscheinlich wurde der Wagen durch Anschieben, oder besser Anlaufen, in Bewegung gesetzt.

Datierung des Fahrzeuges:

Die eigenhändigen Anmerkungen von Marcus auf den Fotos lauten: "Petroleum(Benzin)-Motor zum Betriebe eines Straßenwagens mit Federvorrichtung zur Neutralisierung der Explosionsstöße konstruiert von Siegfr. Marcus 1870", respective "Motor-Wagen Konstruiert von Siegfr. Marcus. Wien d. 3ten Septbr.1870. Photographiert von Löwy durch Assistent Jaffe". Das Vorstandsmitglied des Österr. Automobil - Clubs, Prof.Ing. Czischek-Christen, hat diese Fotos anlässlich seines Vortrages .Automobile. im Jahr 1898 von Marcus selbst überreicht bekommen.

Die Datierung "1864" auf dem Marcus Denkmal im Wiener Resselpark geht auf Ladislaus Jonasz (1875 - ?) zurück, den ersten Direktor von Fiat in Wien und späteren Direktor von Austro Daimler. Er beruft sich dabei in einem Artikel in der "Allgemeinen Automobil-Zeitung" aus dem Jahr 1901 auf einen gewissen Blum, der 1864 bei Marcus als "Arbeitsgenosse" eintrat und versicherte " ...den Wagen zu diesem Zeitpunkt schon vorgefunden zu haben". Das Jahr 1866 nennt ein Fahrbericht des Albert Curjel (1843-?). Allerdings hat er dieses Erlebnis erst 1904, also fast 35 Jahre nach dem wahrscheinlichen Datum von 1870, nieder geschrieben. Seine Glaubwürdigkeit wird auch durch leicht erkennbare Fehler an anderer Stelle des Beitrages erschüttert. Curjel war ein bekannter Mann in Wien. Ursprünglich Nähmaschinenhersteller in der Mariahilferstr. 115, importierte er englische Hochräder. Später hatte er die Niederlassung für "Laurin und Klement. Motorräder aus dem damaligen Jungbunzlau" heute nach einer Fusion unter "Skoda" bekannt in der Wiener Elisabethstraße inne. In einem Saal in seinem Keller betrieb er auch eine Radfahrschule, was damals aber nichts außergewöhnliches war.

Dem Bericht des Ladislaus Jonasz widerspricht die Aussage des Alois Christian, der zur gleichen Zeit wie Blum bei Marcus in der Lehre war und von einem Wagen nichts wusste, wie er Kurzel-Runtscheiner (1883-1957, Vizedirektor des Wiener Technischen Museums) wissen ließ. Wohl aber wusste Christian über die Versuche Marcus, mit Oberflächenvergasern in den 1860-er Jahren bescheid und erzählte von der Installation einer elektrischen Klingel in der Wiener Hofburg. Auch Moritz Ritter von Pichler (1847-97) schrieb 1888 in der "Wochenschrift des Österreichischen Ingenieur- und Archtekten-Vereines": "...wurde 1870 ein Motor gebaut, der, vertical gestellt, einfach wirkend, an seiner unteren Cylinderseite mit Hähnen regulierbar, das damals hochflüchtige Betriebsgemisch aufnahm" und, weiters, "....( Marcus) schon im Jahr 1870 einen Petroleummotor gebaut hat, mit dem er, einen Wagen treibend, auf der Mariahilferstrasse herumfuhr". Ebenso ist in "Ackermann's Gewerbe-Zeitung" , siehe oben, vom September 1870 die Rede, in genauer Übereinstimmung mit der Anmerkung auf einer der Fotografien.

Im Schreiben vom 1.2.01 spricht die Firma Märky, Bromovsky und Schulz, der Hersteller des Zweiten Marcus Wagens, davon, dass dieser (zweite, von ihr 1888/89 hergestellte) nicht .... mit dem identisch (ist), mit welchem Marcus bereits in den 70er Jahren Fahrversuche gemacht haben soll.

Da Marcus seinen Oberflächenvergaser 1865 und 1866 patentieren ließ, ist ein Entstehen des Fahrzeuges vor dieser Zeit nahezu auszuschließen. Sollen die von anderen Zeitzeugen widersprochenen Angaben von Blum, bzw. Jonasz, und Curjel Grund genug sein, das von Marcus selbst angeführte Jahr 1870 als Herstellungsdatum in Frage zu stellen? Die Einfachheit des Wagens zum Zeitpunkt der Fotoaufnahmen lässt darauf schließen, dass er keine lang dauernden Versuche hinter sich hatte. Welchen Sinn hätten viele Fahrversuche mit diesem unlenkbaren und unbremsbaren Fahrzeug gehabt? Auch das untermauert die Datierung mit 1870. Und, kommt es auf ein paar Jahre mehr oder weniger überhaupt an?
Es fällt auf, dass weder Curjel, noch Pichler oder Jonasz jemals über den jüngeren, Zweiten Marcus Wagen berichtet haben. Auch Pichler dürfte Marcus persönlich gekannt haben und Jonasz war "über mehrere Ecken" mit Marcus geschäftlich verbunden. Der Direktor des Fiat-Werkes in Floridsdorf war Adolf Egger, der Sohn des Technikpioniers Egger, mit dem Marcus Ende der 1870-Jahre auf dem Gebiet der Elektrobeleuchtung eng zusammen gearbeitet hat.

Technikhistoriker lehnen bei komplexen technischen Gebilden die Begriffe "Erfindung" und "Erfinder" ab und sprechen von Erfinderreihen. Daher wird hier die Frage, ob Marcus mit dem beschriebenen Fahrzeug das Auto erfunden hat, weder aufgeworfen, noch beantwortet. Einen Platz in der "Hall of Fame" der Väter des Autos hat sich Marcus mit seiner Pionierleistung, als Erster Vergaser, Benzinmotor und Wagen zu einer Einheit zusammen zu fassen, aber für alle Zeiten gesichert.

Quellen:

Erich Kurzel-Runtscheiner, "Siegfried Marcus: Lebensbild eines österreichischen Erfinders", Wien 1956.
Gustav Goldbeck, "Siegfried Marcus, ein Erfinderleben", VDI-Verlag, Düsseldorf 1961.
Hans Seper, "Damals, als die Pferde scheuten", Wien 1968, Österr. Wirtschaftsverlag.
Albert Lorenz, "Alte Autos, junge Liebe", Wien 1963, Kremayer & Scherian.
Ursula Bürbaumer, "Das erste Auto der Welt?", Wien 1998, Erasmus Verlag.
Alfred Buberl, "Siegfried Marcus, Erfinder des Automobils", Verlag Siegfried Marcus Forschungsgesellschaft, Stockerau, 1999.
Horst Hardenberg, "Siegfried Marcus, Mythos und Wirklichkeit", aus der Wissenschaftlichen Schriftenreihe des DaimlerChrysler Konzernarchivs, Bielefeld 2000, Delius & Klasing Verlag.
Helmuth Grössing (Herausgeber), Ursula Bürbaumer, Johannes Steinböck, Horst Hardenberg, Gerhard Schaukal und Ladislav Mergl, in "Autos-Fahrer - Konstrukteure", Wien 2000, Erasmus Verlag.
Seper, Pfundner, Lenz. "Österreichische Automobilgeschichte", Klosterneuburg 1999, Eurotax Verlag.
Bruner, Reitgruber, "Hundert Jahre Fahrzeugbau in Wien", Wien 2001, Verein zur Förderung historischer Kraftfahrzeuge der Österrr. Automobilfabriken ÖAF-Gräf & Stift AG.
Günter Rott, "Der motorisierte Handwagen des Siegfried Marcus", in "Austro Classic", Kierling, Juni 2003.
Der Erfinder des Automobils?

Der Motor des ersten Marcus Wagens
Der Motor des ersten Marcus Wagens, von Siegfried Marcus eigenhändig mit "...konstruiert von Siegfr. Marcus 1870." datiert
Erster Marcus Wagen
Erster Marcus Wagen (fotografiert am 3. Sept. 1870)

Weiterführendes#


Bild 'sim-link'
Austria-Forum Beiträge in ähnlichen Gebieten