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Zum 175. Geburtstag von Siegfried Marcus#

Mehr oder weniger Bekanntes über einen Automobilpionier, Mechaniker, Elektrotechniker, Apparatebauer und, und, und...#

Von

Günter Rott

"Einer der erfindungsreichsten Wiener Ingenieure, der jede ihm gestellte Aufgabe bisher gelöst und dadurch auch einen Hauptkunden in der deutschen Kriegsverwaltung für elektrische Apparate gefunden, hat schon vor Jahren einen Petroleum-Motor construiert und einem engeren Kreis von Freunden im Betrieb gezeigt. Heute aber erfährt man erst, dass ein solcher Motor mit 450 Pferdestärken im Deutschen Reich in Gebrauch ist. Mit einem solchen Motor in Verbindung mit dem neuesten Fortschritt in der billigen Herstellung des Aluminiums ist die Lösung der Luftschifffahrtsfrage einen Schritt näher gerückt!" (Aus "Wien 1848 - 1888, Denkschrift zum 2. December 1888, herausgegeben vom Gemeinderathe der Stadt Wien, 1. Band", Wien 1888, S 196)

Lassen wir einmal die Luftschiffe beiseite. Marcus war einer von mehreren Wienern, wie Julius Hock, Leo Elger und Jakob Warchalowsky, die sich damals mit Verbrennungsmotoren beschäftigten. (Das Unternehmen des letzteren gab es übrigens bis in die 1970er Jahre.) Und er war nicht nur Elektrotechniker, sondern auch ein sehr vielseitiger, erfindungsreicher Mechaniker. Deshalb nehmen wir an, dass hier Siegfried Marcus gemeint ist.

Warum erinnern wir uns besonders aber an Siegfried Marcus? Weil er 1870 als Erster ein mit Benzin betriebenes Fahrzeug gebaut hat, auch wenn es nur ein motorisierter Handwagen war. Weil sein zweiter Wagen von 1888/89 das erste .richtige. Automobil war, welches im damaligen Österreich gebaut wurde und welches sich durch innovative Aggregate wie Vergaser und Zünder auszeichnete, auch wenn es nur ein Prototyp mit unzureichenden Fahrleistungen war. Auch, weil dieses Fahrzeug, wie der etwa gleich alten Wagen des Albert Hammel aus Dänemark (.Der dänische Hammel. AC 6/2004), zu den ältesten im Original und fahrfähigen Zustand erhaltenen vierrädrigen Automobilen zählt. Er ist der erste von vielen Österreichern, hier geborene oder durch Zuwanderung und Wohnsitz gewordene, die Meilensteine der Automobilgeschichte setzten. Porsche, Puch, Ledwinka, Eberan von Ebenhorst, Abarth, Hruschka, List und andere sollten noch folgen. Siegfried Marcus, der Konstrukteur des weltersten Benzinmotors, war ihr Prophet. Ihm gebührt ein Ehrenplatz in der Ahnentafel der Pioniere der Motorisierung des Verkehrs..

Die beiden Motorwagen, die Marcus baute oder bauen ließ, sind den Lesern von AustroClassic bereits ausführlich vorgestellt worden (.Der motorisierte Handwagen. 3/2003 und .Woher stammt der Zweite Marcus Wagen?. 1/2004). Die Annahme, der Zweite Marcus Wagen sei bereits 1875 entstanden, hat Marcus bekannt gemacht. Zwischen 1945 und der Gegenwart schwankte die Anteilnahme an ihm zwischen unangebrachter Glorifizierung als Erfinder des Automobils und völligem Desinteresse und Vergessen.

Insgesamt kennt man neun Benzinmotoren, die von Marcus stammen. Gebaut hat er keinen davon selbst, dazu fehlten ihm in seiner kleinen Werkstatt mit nicht mehr als ein bis zwei Gehilfen die Möglichkeiten. Der erste entstand um 1870 und wurde im sogenannten Ersten Marcus Wagen verwendet. Bekannt ist auch der Stationärmotor von 1873, da er von dem bekannten Technik-Professor Johann Radinger in einem Bericht anlässlich der Weltausstellung von 1873 erwähnt wurde, wobei besonders die elektromagnetische Zündung Beachtung fand. Die drei letzten Motoren entstanden 1887/88 und sind die einzigen, die erhalten geblieben sind. Ein Stationärmotor steht im Technischen Museum Prag, ein zweiter, in liegender Ausführung, im Wiener Technischen Museum (TMW). Der dritte, dem Wiener Stationärmotor im Aufbau ähnlich, ist im Zweiten Marcus Wagen, ebenfalls im TMW ausgestellt, eingebaut. Es sind dies auch die drei einzigen Viertaktmotoren. Ihre Vorgänger waren samt und sonders verdichtungslose, direkt wirkende Zweitaktmotoren, oft irreführend atmosphärische Motoren genannt. Zumindest ein solcher Motor, gebaut 1885, wurde von Moritz von Pichler gezeichnet, dem wir das Wichtigste an zeitgenössischen Informationen über die Marcus-Motoren verdanken (.Zeitgenössische Veröffentlichungen über die Verbrennungsmotoren des Siegfried Marcus. AC 1/2004).

Den Beweis für das Baujahr 1888 - für den Motor - und 1889, oder später - für das Fahrgestell - des Zweiten Marcus Wagens, hat der damalige Kustos der Automobilabteilung des TMW, Hans Seper, bereits 1968 geliefert, als er Unterlagen der Herstellerfirma Märky, Bromovsky und Schulz veröffentlicht hat. Daran ist auch mit einem Verwirrspiel aus willkürlichen Behauptungen und missinterpretierten Unterlagen nicht zu rütteln. Hans Seper hat sich nicht nur in den 1950er Jahren durch den Aufbau der Automobilsammlung des Museums verdient gemacht, sondern er hat auch mit seine zahlreichen Büchern und Beiträgen zur österreichischen Automobilgeschichte gezeigt, was quellengetreue Geschichtsforschung ist.

Geboren wurde Siegfried Marcus am 18. September 1831 im mecklenburgischen Städtchen Malchin. Da er aus einer jüdischen Familie stammte, fiel er noch posthum dem nationalsozialistischen Rassenwahn zum Opfer. Sein Denkmal in Wien wurde abgetragen und sein Name aus dem Schriftgut verbannt, soweit es möglich war. Die Behauptung, die Nationalsozialisten hätten auch Unterlagen über seine Patente verschwinden lassen, entbehrt allerdings jeder Grundlage. Das Denkmal überlebte im Depot und steht jetzt wieder an seinem angestammten Platz im Wiener Resselpark. Dank klugen Taktierens des Eigentümers, des Österreichischen Automobilclubs, und der Verwaltung des TMWs, blieb auch der Zweite Marcus Wagen erhalten.

Siegfried Marcus soll in Malchin eine Mechanikerlehre absolviert haben und über Hamburg nach Berlin gekommen sein. Dort hat er nach eigenen, spärlichen Angaben bei Siemens gearbeitet. Unterlagen gibt es darüber keine. Marcus war ein ausgezeichneter Elektrotechniker und irgendwo muss er sein Handwerk gelernt haben.

Im Jahr 1852 kam er nach Wien. Er könnte dazu schon mit der Nordbahn angereist sein, die bereits 1851 Hamburg direkt mit Wien verbunden hat. Die k.k. Haupt- und Residenzstadt hatte Anfang 1857, dem Jahr der Volkszählung, 469.000 Einwohner und war damit etwa gleich groß wie Berlin.

Um 1850 war Österreich.Ungarn nach Russland und Frankreich der drittgrößte Staat Europas, aber ein industriell unterentwickeltes Land. In einer Art von innereuropäischem Wirtschaftskolonialismus wanderten später sehr bedeutende Industriellenfamilien wie Schöller, Bleckmann, Reinighaus, Thonet und Lohner aus Deutschland ein. Es war wohl mehr diese industrielle Kolonisierung, die Marcus nach Wien zog, als .die milde Luft und die schönen Frauen., wie dieser später schrieb.

Es erfolgte ein rapides Ansteigen der Wiener Bevölkerung auf bereits 726.000 Einwohner um 1880. Ebenso stark stieg der innerstädtische Verkehr, Pferdemist wurde zur unerträglichen Belästigung und was heute Motorisierung heißt, wurde schon damals als notwendig erkannt. So befuhr zum Beispiel bereits 1872 die Straßenlokomotive der Firma Sigl unter großer öffentlicher und medialer Beachtung versuchsweise die Straßen Wiens. Die Firma Sigl war es übrigens auch die zu dieser Zeit die ersten Marcus-Motoren baute.

Wahrscheinlich wusste Marcus bereits über familiäre Kontakte über Wien Bescheid. Hier lebte nämlich ein Cousin ersten Grades, Eduard Warrens (1818 . 1872), eine schillernde Persönlichkeit, die zu Reichtum und Ansehen gelangt war. Er war unter anderem Zeitungsherausgeber, Verwaltungsrat der Kaiserin Elisabeth Westbahn und Mitbegründer einer Bank. Warrens und Marcus hielten gemeinsam ein Privileg auf einen Elektromotor, so nannten man damals in Österreich Patente, welches aber ein Jahr nach Erteilung erlosch.

Die ersten Wiener Jahre sind von drei oder vier wichtigen Stationen gekennzeichnet. Zuerst, auf der Wieden, war Marcus beim k.k. (kaiserlich königlichen) Mechaniker Kraft tätig. Eduard Carl Kraft beherrschte um 1850 als .Platzhirsch. das Feld der Präzisionsinstrumentebauer, d.h. er baute mathematische, physikalische und optische Instrumente, später sogar größere Maschinen und Eisenbahnwagen. Nach Streitigkeiten über ein Patent übersiedelte Marcus nach Erdberg und war dort als Mechaniker für das k.k. physikalische Institut tätig. Damals entstanden Apparate wie z.B. der Antigraph (1855), ein Gerät, welches spiegelverkehrtes Zeichnen im graphischen Gewebe ermöglichte. Später arbeitete er als Mechaniker für das chemische Labor der .Geologischen Reichsanstalt.. In dieser Zeit baute er unter anderem seinen bekannten Gasdruckregler, das ist ein Apparat zur Erzielung gleichförmiger Temperaturen mittels einer Gaslampe. Im Jahr 1855 erhielt Marcus eine Gewerbeberechtigung zur Erzeugung optischer und mechanischer Instrumente. Dienstnehmer im heutigen Sinn dürfte Marcus auch vorher nicht gewesen sein.

Ob Marcus am k.k. Josephinischen Institut als Mechaniker tätig war, ist ungewiss. Im Pathologisch Anatomischen Bundesmuseum ist jedoch sein Knochen . Winkel . Messgerät, genannt .Universal-Goniometer., erhalten geblieben. Wenn Marcus überhaupt dort gearbeitet hat, dann nur für höchstens ein halbes Jahr. 1856, im Alter von 25 Jahren, gründete Siegfried Marcus sein erstes eigenes .Labor. in der Mariahilferstraße 107 und führte diese Werkstätte zunächst als .Telegrafen - Bauanstalt..

Gewiss ist aber seine Zusammenarbeit mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Zwischen 1855 und 1865 hatte Marcus mehrmals Kontakt, zuerst 1855, mit dem schon erwähnten Antigraphen. Sieben Jahre später präsentiert er einen Elektromotor. Das für Marcus gewinnträchtigste Projekt war die Entwicklung einer sogenannten Thermosäule. Das war der Versuch, das auch heute noch nicht wirtschaftlich gelöste Problem der Stromerzeugung direkt aus Wärme, zu lösen. Die größten Schwächen der Konstruktion waren der schlechte Wirkungsgrad und der sich mit fortschreitendem Gebrauch erhöhende innere elektrische Widerstand. Die 768 Elemente des kohlegefeuerten Thermogenerators leisteten 3,2 Watt, die zugeführte Wärme dazu betrug 92,5 Watt(!). Die Unterlegenheit der Thermosäule gegenüber den Flüssigkeitsbatterien war auch Marcus bekannt. Seine Versuche, weitere Verbesserungen zu erreichen, führte er bis Anfang der 1890er Jahre durch. Es handelte sich dabei um eine Sackgassentechnik, was man allerdings damals noch nicht wusste.

Zwischen 1864 und 1865 verhandelte Marcus sehr geschickt mit der Akademie über seine Rechte an der Thermosäule, im Zuge derer es ihm gelang, den Verkaufspreis auf 2.500 fl (Gulden, ca. . 25.000) hinaufzutreiben. Bei allen hier genannten Währungsäquivalenten muss jedoch folgendes bedacht werden: Der Wert für den Einzelnen war, je nach Stand und Vermögen, ein weit höherer, musste doch damals z.B. ein Handwerksbursche rund 8 mal so lange arbeiten als heute, um den entsprechenden Nominalwert zu verdienen!

Markus hat dieses Geschäft nachher in eine Auszeichnung verwandelt. Ab 1879 schmückte er sich auf seinem Briefpapier mit einem .Großer Preis der Akademie der Wissenschaften., den es allerdings nie gab.

Ebenso wenig gab es eine .Goldene Medaille., wie es Franz M. Feldhaus später behauptete (Feldhaus machte sich mit seinem Archiv, einer Sammlung von mehr als 60.000 Karteikarten mit Zeitungsausschnitten einen Namen, als Technikhistoriker ist er aus Gründen, wie hier erkennbar, umstritten). Marcus war ein Mann, der sich gut in der Öffentlichkeit präsentierte, um seine kaufmännischen Ziele zu verfolgen. Es ist jedoch keine Spur von einem kommerziell uninteressierten Techniker und Erfinder, als welcher Marcus manchmal hingestellt wird, zu erkennen.

Richtig ist hingegen die Verleihung des .Goldene Verdienstkreuzes mit Krone. im Jahr 1867 durch Kaiser Franz Joseph. Mit gleichem Schreiben wurde auch der Wagenbauer Jakob Lohner, dessen Nachfolger und Sohn Ludwig wir die Erhaltung des Zweiten Marcus Wagens mitverdanken, ausgezeichnet.

Um 1870 herum kreuzen sich die Wege von Marcus mit einem Kind, welches ihm später als erfolgreichen Schriftsteller und Dichter ein literarisches Denkmal setzen sollte.

Dabei handelt es sich um den österreichischen Schriftsteller Emil Adolf Victor Ertl (1860-1935) und um dessen 1927 erschienene Novelle .Der Kilometerfresser. enthalten in dem Buch .Geschichten aus meiner Jugend..

Ertl war in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen ein zumindest in Österreich viel gelesener Autor historischer Romane. Er entstammte einer Seidenweber-Familie und wuchs am Schottenfeld im 7. Wiener Gemeindebezirk auf. Er besuchte von 1870 bis 1873 das Gymnasium in der Amerlingstraße, studierte Philosophie in Wien und Graz und war ab 1889 Bibliotheksbeamter und später Bibliotheksdirektor an der Technischen Hochschule Graz, jetzt TU. Nach eigenen Angaben hatte er Marcus in seiner Kindheit persönlich kennen gelernt.

In dem Buch .Geschichten aus meiner Jugend. finden wir einige für die damalige Trivialliteratur typische Geschichten. In das Klischee des verkannten Genies, über das sich die Leute lustig machen und welches die Behörden in ihrer Ignoranz an seiner Entfaltung hindern, passt die Figur des .Spinnerichs. im .Kilometerfresser.. Die Geschichte, in der Ich-Form geschrieben, erzählt von einer Fahrt des Erzählers, eines zehnjährigen Kindes, welches gerade die erste Gymnasialklasse besucht, mit einem Motorwagen, dessen Beschreibung auf den Zweiten Marcus Wagen passt:

.Freilich ging.s nur recht bedachtsam vorwärts, Schritt für Schritt sozusagen, das war nicht abzustreiten, jeder Einspänner überholte uns. Und um den Lärm, den wir selbst machten oder verursachten, erträglich zu finden, mußte man schon halbtaub oder, wie ich selbst, ein Ausbund an Voreingenommenheit sein. Das Triebwerk brüllte wie eine ganze Menagerie von Pumas, die man ununterbrochen in den Schwanz kneipen würde. Die Räder, selbstverständlich noch ohne Gummibereifung, rasselten, als ob Batterien schwerer Feldgeschütze hinrollten über das harte Granitpflaster, das wie von einem Erdbeben heimgesucht unter uns schütterte und schwankte. Dazu noch das .... Schimpfen und Fluchen der Fiakerkutscher und sonstigen Fuhrleute, die allen im zottigen Busen aufgestapelten Haß auf uns geworfen hatten, weil sie .... in uns die ersten Urheber jener Götterdämmerung erblickten, die ein halbes Jahrhundert später über ihren Stand hereinbrechen sollte..

Die Geschichte schließt mit einem Besuch des gealterten Erzählers im Technischen Museum, wo dieser den Wagen wieder erkennt.

Selbst zu ihrer Zeit anerkannte Technikhistoriker, wie Erich Kurzel-Runtscheiner, Vize-Direktor des Wiener Technischen Museums und Marcus Biograph, wussten nicht, ob der schriftstellerische Beitrag nicht doch als historische Quelle zu werten sei. Für Klarheit sorgte Ertl selbst, als er an Kurzel-Runtscheiner schrieb:

......und mich darüber gewundert, wie viele von mir rein erfundene Einzelheiten in meiner kleinen Erzählung, die auf das Schicksal des genialen Mannes anspielten, der Wirklichkeit und den feststellbaren Tatsachen entsprechen.... Schon der Titel weist darauf hin, dass diese kleine Novelle noch viel weniger als Goethes .Dichtung und Wahrheit. als Memoiren zu betrachten sind.... Wenn .... hieraus Schlüsse aufs Tatsächliche abgeleitet haben sollte, so würde dies nur auf einem Missverständnis des dichterischen Schaffens beruhen. - Dr. Emil Ertl.

Auch mit anderen bekannten Menschen kam Siegfried Marcus persönlich oder geschäftlich in Kontakt. Der oft behauptete enge Verbindung zu Werner Siemens widersprechen jedoch der förmlichen Ton und der Inhalt des Briefwechsels, welchen die Brüder Siemens mit Marcus über den Ankauf eines Lampen-Patents führten. Bereits 1862 gab es zwischen dem Hause Siemens und dem Wiener Mechaniker eine geschäftliche Berührung. Marcus versuchte damals einen Telegrafenapparat an die k.k. Armee zu verkaufen. Das Gerät sollte damals von der .k.k. Genie Direktion. (Genie = Technische Kriegstruppe, Pioniere) in Verona ausprobiert werden und zuständig war niemand anderer als der damalige Feldmarschallleutnant Ludwig Benedek von Felsör, der 4 Jahre später, 1866 die folgenschwere Niederlage in Königsgrätz erlitt.

Benedek schrieb dazu an die Genie-Direktion in Verona: .Der Wiener Mechaniker Siegfried Marcus hat nach einer Grundidee von Siemens et Halske einen elektrischen Telegrafen-Apparat konstruiert, welcher einen sehr kleinen Raum einnimmt, keine nassen Elemente besitzt und in Buchstaben telegrafiert, somit unter allen Umständen bequem zu handhaben ist, und zu seiner Anwendung nicht erst besonders abgerichteter Individuen bedarf..

Schlussendlich wurden die Versuche in Verona negativ beurteilt. Das Gerät war zu störungsanfällig und zu langsam. Für die Daten, die etwa einer Schreibmaschineschreibseite entsprechen, hätte man 2 Stunden gebraucht. Die von Werner von Siemens entwickelte elektrodynamische Maschine (Elektrodynamo) wurde von Marcus in Wien in einigen Exemplaren gebaut, bevor die Firma Siemens hier ihr eigenes Werk errichtete.

Der vielseitige Techniker und bekannte Sozialphilosoph, Josef Popper, Pseudonym Lynkeus, lernte Marcus geschäftlich persönlich kennen und bezeichnete ihn in seinen Lebenserinnerungen als vorzüglichen, praktischen Elektrotechniker und einzigen (Anm.: damals einzigen), der in Österreich magnetelektrische Maschinen baute. Mit Bela Egger, dem ersten Wiener elektrotechnischen Industriellen, aus dessen Fabrik später die österreichische Brown-Bovery AG hervorging, hat Marcus eine Bogenlampe entwickelt. (Dass Ferdinand Porsche als junger Zuwanderer in Eggers Werkstätte arbeitete und dort am Arbeitsplatz seine spätere Frau kennen lernte, sein am Rande erwähnt). 1898 stellte Ludwig Lohner zusammen mit dem Zweiten Marcus Wagen auch ein Egger-Lohner Elektromobil in der Wiener Rotunde aus. Das war anlässlich der Kaiser Franz Joseph Jubiläumsausstellung abgehaltenen Collectivausstellung österreichischer Automobilbauer, wo auch der Zweite Marcus Wagen zum ersten Mal in der Öffentlichkeit auftrat. Warum damals der Marcus Wagen mit dem Baujahr 1877 in Verbindung gebracht wurde, ist nicht feststellbar. Wahrscheinlich hat Ludwig Czischek, dem wir die ersten Berichte über den Marcus-Wagen und dieses Datum .verdanken. (später sprach er nur mehr von 1875), die von Moritz von Pichler und Ackermann erwähnten Fahrten des Ersten Marcus Wagens irrtümlich mit dem zweiten Wagen in Verbindung gebracht.

Auch zum Kaiserhaus gab es Verbindungen. Im Testament des Siegfried Marcus steht unter anderem: .Meiner jüngsten Tochter, Rosa Baresch, praelegiere ich die mir vom Kronprinzen Rudolf v. Österreich geschenkten zwei Manschett-Knöpfe und zwei Chemisette . Knöpfe mit Diamanten und blauen Steinen.

Dies gibt zu allerhand Spekulationen Anlass. Eine Frau Clementine Schmid, geb. Hayder, bezeichnete sich in den 1950er Jahren als die beste Freundin der Enkelin von Marcus und behauptete, dass sie sogar Großpapa zu Marcus hatte sagen dürfen. .Er erzählte uns auch, dass er Kronprinz Rudolf in Physik unterrichtet hat, dafür bekam er vom Kaiser goldene Manschettenknöpfe und drei goldenen Hemdknöpfe mit Brillanten, diese hat er uns auch gezeigt..

Im Österreichischen Haus-, Hof- und Staatsarchiv befinden sich die Unterlagen über die Erziehung des Kronprinzen. Dessen Lehrer sind alle bekannt, der Name Marcus scheint dabei nicht auf. Viele solche Geschichten haben einen wahren Kern. Experimente von Marcus in Gegenwart des Kronprinzen sind durchaus denkbar, da seine elektrotechnischen Vorführungen vor Publikum allgemein bekannt waren. Ein Lehrer im Sinne des Wortes des Kronprinzen war Marcus nicht. Auch die lustige Geschichte von der Klingel im Appartement der Kaiserin, die Marcus montiert haben soll, ist eine .dünne Suppe.. Es gibt keinen anderen österreichischen Erfinder, über den so viele Mythen verbreitet wurden, wie Siegfried Marcus. Auch die Jahreszahl 1864 als Erfindungsjahr des Automobils (gemeint ist damit das Baujahr des Ersten Wagens), die auf dem Wiener Marcus Denkmal steht, stammt aus der .Erinnerung. eines ehemaligen Marcus-Gehilfen und wurde von diesem im Jahr 1904 genannt.

Um 1860 lernte Marcus seine spätere Lebenspartnerin, die Schneiderin Eleonora Baresch (1842 . 1919), mit der er rund 40 Jahre zusammen war, kennen. Marcus hat sie nie geheiratet. Die Österreichische Staatsbürgerschaft hat er nie erworben und Eleonora hätte so im Fall der Heirat ihr Wiener Heimatrecht verloren. Am 4. Oktober 1861 wurde sie erstmals Mutter, ihre Tochter hieß ebenfalls Eleonora. Die zweite Tochter der beiden kam am 6.April 1869 zur Welt. Über direkte, noch lebende Nachfahren von Siegfried Marcus ist bisher nichts bekannt.

Siegfried Marcus hatte zwei Brüder, der ältere, geb. 1821 in Malchin, war Eduard Liepman Marcus, von Siegfried .Erding. genannt. Er lebte in Hamburg, wo er 1883 starb. .Erding. war ein enger Vertrauter von Siegfried. Ein Brief an ihn vom 7. Juni 1876 ist sehr aufschlussreich: .Ich laboriere (Anm. d.V.: an etwas arbeiten) nebst den direkten Erwerbsarbeiten, immer an der Verwertung meiner zahlreichen Erfindungen und habe von hiesigen Maschinenbauern (bei getheilter Arbeit) mehrere Muster theils fertig, theils noch in Arbeit. ..... Ich habe eine sehr schöne Kraftmaschine in meinem Magazin. Diese Maschine kostete mir 1600 fl (Anm.knapp 16.000 .). Entgegen meinem Wunsche (nämlich da ich noch keine Patente im Ausland besitze) etwas zu früh, ist sowohl in einer hiesigen Zeitschrift (deren betreffenden Ausschnitt ich einschließe) als auch in einem größeren wissenschaftlichen Werke über diese Maschine sehr vortheilhaft geschrieben worden.. Einen stationären Zweitaktmotor hat 1875 die Wiener Firma H.D. Schmid gebaut, den dritten, den wir kennen, nach den Motoren von 1870 und 1873.

Der zweitälteste Bruder, Emanuel Mendel Liepmann (1829 . 1901) ging 1851 nach Amerika und änderte seinen Namen in das ähnliche .Marquis.. Im Bundesstaat Indiana war er Musiklehrer und Komponist. Ein Vetter 2. Grades, der Kunstmaler Otto Marcus (1863 .1952), der auch zwei Bilder mit Siegfried samt Motorwagen posthum gemalt hat, studierte an der Wiener Kunstakademie. Nach eigener Auskunft hat er 1880, als 16-Jähriger, Siegfried besucht und dabei dessen Glühlampen (Anm. nicht das, was wir heute darunter verstehen) bewundert.

Zum engeren Freundeskreis zählten die Brüder Jaffee, ebenfalls Mecklenburger jüdischer Abstammung. Max (1845 . 1939) war der Fotograf des Ersten Marcus Wagen (MW1), bzw. des Motors von 1870 und auch der Verfasser einer Marcus.Biografie. Dessen fünf Jahre älterer Bruder Moritz wollte Mitte der 1870er Jahre Partner und Finanzier von Siegfried Marcus werden, scheiterte aber an dessen Misstrauen.

Der Patentanwalt Victor Tischler behauptete: .Ich hatte die Ehre, Siegfried Marcus viele Jahre lang zu meinen Klienten zu zählen...Ich schätze mich glücklich, durch Marcus in den Besitz einer großen Anzahl von Erfindungsmodelle gekommen zu sein.... Tischler (1856-1921) war einer von 37 bekannten Patentanwälten des Siegfried Marcus und arbeitete für ihn ab 1892, die letzten 6 Jahre vor dessen Tod.

Die Herausgeber von Ackermanns illustrierter Gewerbezeitung, Josef und später Rudolf, waren Nachbarn und Bekannte, ebenso wie der Nähmaschinenhändler und spätere Agent der Auto- und Motorradfirma Laurin und Klement, Albert Curjel. Der hat 1904 über eine Fahrt mit dem ersten Wagen berichtet und sich dabei an das Jahr 1866 .erinnert.. Das ist einer von mehreren Fehlern, die nach so langer Zeit fast selbstverständlich sind.

1890 verlegte Marcus seine .Fabrik mechanischer u. physikalischer Instrumente u. Apparate. auf den Standort Mondscheingasse 4, nicht weit von seiner bisherigen Werkstätte. Er hatte sich damals auf verschiedene physikalische und elektrotechnische Apparate, wie Zünder für Bergwerke und Militärzwecke, spezialisiert.

Gelebt hat Siegfried Marcus, und das für die damalige Zeit gar nicht schlecht, vom Apparatebau und vom Verkauf seiner vielen Patente. Den größten Anteil hatten elektrotechnische Geräte wie Magnetzünder für zivile und militärische Zwecke, Bogenlampen und Telegrafenapparate. Die mechanischen Apparate und Geräte, die er in seiner Werkstätte entwickelte und baute, sind in ihrer Vielfalt schwer überschaubar. Da gab es Werkzeuge, Zaubergeräte, Ventile, Krawattenhalter, Waffen, und, und, und... Damit ist auch erklärt, warum der große wirtschaftliche Durchbruch versagt blieb: Er hat sich schlicht verzettelt.

Am 1.7.1898 starb Marcus in Wien. Seine letzten Lebensjahre hindurch litt er unter Gesundheitsproblemen. In sein Todesjahr fällt das erste bekannte öffentliche Auftreten des Zweiten Marcus Wagens anlässlich einer Kollektivausstellung der Automobilbauer Österreichs auf der Kaiser-Franz-Joseph-Jubiläums-Gewerbeausstellung. Seine Verlassenschaft, einschließlich der Werkstätte, wurde mit 3.412 fl (ca. . 33.400) bewertet. Der Betrieb wurde nicht mehr weiter geführt, seine Patente verfielen rasch. Seine Erben waren seine Lebensgefährtin Eleonore Baresch, die gemeinsamen erwachsenen Töchter Eleonora Maria und Rosa Maria Anna; der Bruder von Eleonore Baresch sollte die Werkstatt erben, verzichtete aber darauf.

Die Bewertung der Rechte, der Patente, floss im Gegensatz zu der heute geübten Praxis interessanter Weise nicht in die Bewertung des Nachlasses ein.

Der Erlös aus den Patentverkäufen war für die Erben beträchtlich, obwohl keines der Privilegien das Jahr 1900 überlebte.

Auch nach damaligen Maßstäben waren die persönlichen Hinterlassenschaften in Anbetracht der wirtschaftlichen Verhältnisse des Erblassers eher bescheiden: Einrichtung für eine Ein- oder Zweizimmerwohnung, drei Anzüge, Hemden, Strümpfe, ein Hut, ein Paar Stiefel. Unter den in seinem Testament verfügten Pretiosen scheint eine goldene Uhr samt Kette auf, die er seinem Bruder in Amerika, Emanuel, vermachte. In der Werkstätte war auch ein geliehenes Klavier. Unter den Schulden fällt eine Position auf: Eine Forderung der Fa. Märky, Bromovsky und Schulz, Adamsthal in Mähren in Höhe von fl 787,26, (. 8.352,-). Die Firma hatte seit 1887 die Marcus . Motoren erzeugt.

Marcus hat zu Lebzeiten rund 130 Patente in etwa 16 damaligen Staaten angemeldet. Die für die Automobilgeschichte interessantesten sind das vom 23.5.1882 .Neuerungen an Explosionsmotoren., welches den Spritzbürstenvergaser beinhaltet und das vom 20.5.1883 .Magneto-elektrischer Zündapparat für Explosionsmotoren., beide in Deutschland angemeldet. Auch diese Patente hat Marcus später verkauft, und zwar nach Holland. Er hat jedoch niemals ein Patent auf ein Automobil beantragt und er hat auch niemals von sich behauptet, das Automobil erfunden zu haben.

Über seine persönliche Lebensführung ist über das bereits gesagte nichts bekannt. Er war, wie viele Wiener des gehobenen Mittelstandes, ein Kaffeehausbesucher und Stammgast im Caf. Gabesam schräg gegenüber (Ecke Mariahilferstraße und Andreasgasse) seiner Werkstätte. Auch das Einkehrwirtshaus und Tanzlokal .Goldenes Kreuz. (Heute Hotel Kummer) auf der Mariahilfer Straße besuchte er gerne.

Marcus wurde erst auf dem Hütteldorfer Friedhof bestattet und 50 Jahre nach seinem Tod, 1948, zusammen mit Eleonora Baresch, in ein Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof überführt. Er war schon lange vorher zum protestantischen Glauben konvertiert. Auf der Grabplatte steht: .Der Pionier des Benzinmotors und Automotors.. Eleonora Baresch blieb unerwähnt.

Quellen#

  • Emil Ertl, .Der Kilometerfresser., in .Geschichten aus meiner Jugend., L. Staakmann Verlag, Leipzig 1927
  • Erich Kurzel-Runtscheiner, .Siegfried Marcus: Lebensbild eines österreichischen Erfinders., Wien 1956.
  • Gustav Goldbeck, .Siegfried Marcus, ein Erfinderleben., VDI-Verlag, Düsseldorf 1961.
  • Hans Seper, .Damals, als die Pferde scheuten., Wien 1968, Österr. Wirtschaftsverlag.
  • Ursula Bürbaumer, .Das erste Auto der Welt?., Wien 1998, Erasmus Verlag.
  • Wolfgang Gruber, .Hofrats Geburtstag., Interview mit Dr. Seper in Austro Classic, 6/1999, Wien
  • Seper, Pfundner, Lenz, .Österreichische Automobilgeschichte., Klosterneuburg 1999, Eurotax Verlag.
  • Horst Hardenberg, .Siegfried Marcus, Mythos und Wirklichkeit., aus der Wissenschaftlichen Schriftenreihe des DaimlerChrysler Konzernarchivs, Bielefeld 2000, Delius & Klasing Verlag.
  • Helmuth Grössing (Herausgeber), Ursula Bürbaumer, Johannes Steinböck, Horst Hardenberg, Gerhard Schaukal und Ladislav Mergl in .Autos-Fahrer-Konstrukteure., Wien 2000, Erasmus Verlag.
  • Bruner, Reitgruber, .Hundert Jahre Fahrzeugbau in Wien., Wien 2001, Verein zur Förderung historischer Kraftfahrzeuge der Österrr. Automobilfabriken ÖAF-Gräf & Stift AG.
  • Schaukal, Sedlaczek, .Straßenfahrzeuge aus der Sammlung des Technischne Museums Wien, Wien 2001, TMW
  • Ursula Bürbaumer, .Siegfried Marcus in Wien, der Mikrokosmos eines unkonventionellen Mechanikers., Dissertation, Wien 2003
  • Norbert Böttcher, .Siegfried Marcus, bedeutender Ingenieur und vielseitiger Erfinder., Teetz 2005, Hentrich und Hentrich/Stiftung Neue Synagoge Berlin-Centrum Judiacum. (Dem Centrum Judaicum gebührt Dank, eine Größere Anzahl von Exemplaren Schülern der Siegfried Marcus Berufsschule in Wien gespendet zu haben).
  • Martin Pfundner, .Die Auto-Österreicher. Wien 2006
  • Archiv des Technischen Museums Wien, Ludwig Czischek-Christen/Siegfried Marcus Teilnachlass.
  • Lars R. Friedrich . Mayerling Archiv, Hattingen a.d. Ruhr .
  • Archiv Rott.


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