Ein gesünderes Leben durch Prävention #
Richtige Ernährung, ausreichend Bewegung und Vermeidung klassischer Risikofaktoren wie Rauchen können das Leben bis zu 20 Jahre verlängern.#
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 26. Mai 2011).
Von
Michael Kraßnitzer
„Was hält den Menschen gesund?“ Das fragte sich der US-amerikanische Medizinsoziologe Aaron Antonovsky und revolutionierte damit vor rund 30 Jahren das Verständnis von Gesundheit und Krankheit. Bis dahin nämlich hatte die Frage stets gelautet: „Warum wird der Mensch krank?“ Antonovsky (1923–1994) jedoch wollte wissen, welche Faktoren die Gesundheit positiv beeinflussen und wie die Gesundheit erhalten werden könne. Auf diesem Gedanken basiert heute Gesundheitsförderung. Dieses Konzept, dessen gesellschaftlicher Stellenwert immer größer wird, reicht weit über bloße Prävention, also Krankheitsvermeidung, hinaus. Ohne jenes starke Gesundheitsbewusstsein wären die jüngsten Rauchverbote wohl nicht durchsetzbar gewesen.
Österreich hat Nachholbedarf #
Gesundheitsförderung und Prävention wirken. Durch Rauchverzicht kann die Lebenserwartung um zirka acht Jahre verlängert werden, ausreichend Bewegung bringt bis zu sechs Jahre, die Einhaltung des Normalgewichts zweieinhalb und eine gesunde Ernährung weitere zwei Jahre. „Insgesamt können durch eine gesunde Lebensführung 15 bis 20 Lebensjahre gewonnen werden“, rechnet Johannes Bonelli, Direktor des Instituts für medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) in Wien, vor. Krankheitsprävention kann der Gesellschaft auch helfen, volkswirtschaftliche Kosten einzusparen: Laut einer Untersuchung des Instituts für Höhere Studien (IHS) könnten Maßnahmen gegen mangelnde Bewegung Einsparungen von rund 3,6 Milliarden Euro bzw. 1,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes bringen.
Trotz dieser Erkenntnisse steht es in Österreich schlecht um Prävention und Gesundheitsförderung: Die mangelnde Prävention sei „die entscheidende Schwachstelle des österreichischen Gesundheitssystems. Zu diesem Ergebnis kommt eine jüngst veröffentlichte Studie des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO). Demnach liegen die Ausgaben für Prävention mit 1,8 Prozent der Gesundheitsausgaben deutlich unter dem EU-Durchschnitt (2,9 Prozent).
„1,8 Prozent sind zu wenig“, stimmt Christa Peinhaupt zu. Die Leiterin des Fonds Gesundes Österreich (FGÖ) räumt freilich ein: „Diese Daten sind mit Vorsicht zu genießen.“ Denn zum einen ist die Trennlinie zwischen Prävention und medizinischer Vorsorge unscharf, zum anderen fließen die Ausgaben für gesundheitsfördernde Maßnahmen in Betrieben oder Schulen nicht in die genannte Zahl ein, so Peinhaupt.
Der Grund für diese Verwirrung liegt in der grundlegenden Veränderung, die das Verständnis von Gesundheit und Krankheit in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten durchlaufen hat. Verstand man lange Zeit Gesundheit in erster Linie als bloße Abwesenheit von Krankheit, so wird Gesundheit heute positiv definiert: als umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden.
Gesundheitspolitik ist mehr...#
Mit anderen Worten: Gesundheitsförderung und Prävention finden gar nicht im Gesundheitssystem – das ja in Wahrheit ein Krankenbehandlungssystem ist – statt. „Gesundheitsförderung beinhaltet weit mehr als medizinische und soziale Versorgung und findet daher primär nicht in den Krankenhäusern oder den Arztpraxen statt“, betont FGÖ-Chefin Peinhaupt: „Gesundheitspolitik ist eigentlich Sozial- und Bildungspolitik“, so die Leiterin jener Bundeseinrichtung für Gesundheitsförderung und Prävention.
Gesundheitsförderung und Prävention sind nicht ganz dasselbe. Prävention basiert auf dem Wissen, was krank macht: zum Beispiel Tabak- oder Alkoholkonsum, fettreiche Ernährung, Bewegungsarmut, Übergewicht. Menschen sollen motiviert werden, diese Risikofaktoren zu vermeiden und sich für eine gesunde Lebensführung zu entscheiden. Die Effizienz von Präventionskampagnen ist durchaus umstritten. Während FGÖ-Leiterin Peinhaupt auf erfolgreiche Präventionskampagnen verweist, sieht der deutsche Evaluationsforscher Wolf Kirschner in den meisten Fällen bloße „Präventionsrhetorik“ und „symbolische Politik“. „Präventionskampagnen ohne Kontextbeeinflussung bringen überhaupt nichts“, behauptete Kirschner auf dem vom IMABE veranstalteten Symposium „Lebensstil und persönliche Verantwortung“: Eine Kampagne für gesunde Ernährung zum Beispiel bringe nur dann etwas, wenn auch in Betriebs- oder Schulkantinen entsprechende Speisen angeboten werden, nach Möglichkeit billiger als ungesunde Kost.
Genau dort setzt Gesundheitsförderung an. Diese strebt danach, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und damit den Alltag so zu verändern, dass die Entscheidung für einen gesunden Lebensstil naheliegend und einfach ist. „Die Lebensbedingungen, die für Gesundheit und Wohlbefinden entscheidend sind, sollen so gestaltet sein, dass die Menschen ihr eigenes Gesundheitspotenzial leben und verwirklichen können“, erklärt Christa Peinhaupt.
Gesundheitsrisiko Stress#
Die heißesten Eisen auf dem Gebiet der Gesundheitsförderung sind derzeit die Bereiche Ernährung/Bewegung und seelische Gesundheit. Die WHO definiert sieben Hauptrisikofaktoren für das Entstehen von Krankheiten, fünf davon stehen in einem engen Zusammenhang mit Ernährung. Mögliche Folgen sind Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Arteriosklerose, Herz Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfall, Adipositas oder Krebs. Bewegungsmangel ist ein zentraler Risikofaktor für die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Übergewicht bzw. Adipositas. Regelmäßige Aktivität führt zu Anpassungserscheinungen in der Muskulatur, an Herz und Kreislauf, der Lungenfunktion sowie des Fett- und Zuckerstoffwechsels. Die Fließeigenschaften des Blutes und der Blutdruck werden verbessert, das Immunsystem gestärkt.
Psychische Beschwerden und Störungen stellen laut FGÖ auch einen Risikofaktor für körperliche Erkrankungen dar. Lang anhaltender Stress zum Beispiel wirkt sich negativ auf Herz-Kreislauf-Sys tem und Immunabwehr aus und verstärkt die Anfälligkeit für Diabetes, Bluthochdruck, Infektionen und Herzinfarkt. Psychiatrische Erkrankungen stehen mittlerweile an erster Stelle bei den Gründen für Invaliditätspensionen und verursachen hohe Kosten. Fachleute berechneten, dass die fünf häufigsten psychischen Erkrankungen in Österreich jährlich 7,6 Milliarden Euro kosten.
Krankheit und Konsequenzen #
Wer ungesund lebt, solle höhere Krankenkassenbeiträge zahlen, wird immer öfters gefordert. Dabei ist Krankheit etwas, das jeden Menschen – unabhängig vom Lebensstil – treffen kann.#
Von
Michael Kraßnitzer
Selbstverantwortung ist ein Wert, dem der Medizinethiker Giovanni Maio große Bedeutung einräumt: „Sich so zu verhalten, dass man Gesundheitsschädigungen vermeidet, gehört zu den unbestreitbaren Pflichten eines jeden Menschen nicht nur gegenüber seinem Umfeld, sondern vor allen Dingen gegenüber sich selbst“, betont der Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Freiburg. Doch Maio sieht auch die Gefahren, die damit verbunden sind, wenn die Idee der Eigenverantwortung zu weit getrieben wird: „Es wäre ein enormer Rückschritt für das Humanum der Medizin, wenn das Krankwerden in unserer heutigen Zeit nur noch als Resultat der eigenen Versäumnisse gedeutet wird“, wie er auf dem Symposium „Lebensstil und persönliche Verantwortung“ ausführte, das kürzlich vom Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) in Wien veranstaltet wurde.
Das wachsende gesellschaftliche Bewusstsein für Gesundheitsförderung und Prävention hat auch seine Schattenseiten. Das Wissen darum, dass bestimmte Verhaltensweisen ein deutlich erhöhtes Gesundheitsrisiko mit sich bringen, führt leicht zu dem Gedanken, Kranke seien selbst schuld an ihrem Zustand. Exemplarisch sind die Äußerungen des Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer, Walter Dorner, anlässlich des genannten Symposiums. Der oberste Ärztevertreter warf die Frage auf, „ob die vorhersehbaren Konsequenzen eines bewussten Raubbaus an der eigenen Gesundheit noch als schicksalhaftes Ereignis bezeichnet werden könnten.“ Es gibt sogar Stimmen, die Sanktionen in Form von höheren Krankenkassenbeiträgen oder Selbstbehalten für all jene fordern, die sich schlecht ernähren, zu wenig bewegen, übermäßig Alkohol trinken oder rauchen. Auch Dorner denkt in diese Richtung: Man müsse hinterfragen, „inwieweit rücksichtslose Verhaltensweisen, die eine hohe Gefahr der Selbstschädigung mit sich bringen, immer eine Verpflichtung der Solidargemeinschaft nach sich ziehen müssen.“
„Prävention mit humanen Antlitz“#
„Die ethische Herausforderung im Präventionszeitalter liegt in der drohenden Gefahr einer neuen Moralisierung von Krankheit“, erklärt Medizinethiker Maio. Selbst Krebs oder Schlaganfälle würden zusehends als Folge ungenügender Prävention und Vorsorge gesehen, kritisiert er: „Krankheit aber ist etwas, was jeden Menschen, ganz gleich wie er gelebt hat, jederzeit ereilen kann.“ Doch im Zeitalter der Prävention hätten Begriffe wie Schicksal keinen Platz mehr – eine in Maios Augen fatale Entwicklung: „Eine Gesellschaft, die kein Schicksal mehr kennt, ist eine Gesellschaft ohne Gnade. Eine Gesellschaft, die kein Schicksal mehr duldet, ist eine unbarmherzige Gesellschaft.“ Der deutsche Mediziner und Philosoph fordert daher eine „Prävention mit humanem Antlitz“ und spricht sich dagegen aus, dass jene, die ungesund leben, mehr ins Gesundheitssystem einzahlen sollen.
Sanktionen haben keinen Nutzen#
„Nehmen sie eine alleinerziehende Mutter, die mit einem Job an der Supermarktkasse versucht, ihre beiden Kinder zu ernähren. Es wäre ungerecht und inhuman, dieser Frau mit erhöhten Krankenkassenbeiträgen zu drohen, wenn sie nicht ins Fitnessstudio geht oder einen Kurs für gesundes Kochen besucht.“ Sanktionen haben keinen Nutzen für die Gesundheitsvorsorge, ist Maio überzeugt. Da gibt ihm Gottfried Endel, ein Experte im Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger, Recht: „Die Entscheidung für einen bestimmten Lebensstil ist nicht rational.“ Strafmaßnahmen gegen Dicke, Trinker oder Bewegungsmuffel würden nicht fruchten, ist Endel überzeugt. In den USA zum Beispiel führe für viele Menschen eine schwere Erkrankung aufgrund des dortigen Versicherungssystems zu einer finanziellen Katastrophe. Selbst diese massive Bedrohung jedoch bewirke kein erhöhtes Gesundheitsbewusstsein bei den Amerikanern. Auch Endels Schluss lautet: „Es besteht die Gefahr, dass mit der Betonung der individuellen Verantwortung das Gesundheitssystem entsolidarisiert wird.“
Prävention und Gesundheitsvorsorge haben auch noch andere Kehrseiten: Anita Rieder, Professorin für Sozialmedizin am Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien, verweist auf Verunsicherung, Angst und Diskriminierung als unerwünschte Folgen von Präventionskampagnen. Als Präsidentin der Österreichischen Adipositasgesellschaft ist Rieder mit Vorsorgemaßnahmen gegen Fettleibigkeit beschäftigt und ist sich daher der Gefahr bewusst, dass gut gemeinte Aufklärung über die Risiken des Übergewichts zur Stigmatisierung der Übergewichtigen führen könnte.