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Als Wien protestantisch war#

Im 16. Jahrhundert bekannte sich die Mehrheit der Wiener zu Luther.#


Von der Wiener Zeitung (Dienstag, 14. März 2017) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Nedad Memic


Hernals 1555
Hernals war das protestantische Epizentrum von Wien bis zum Religionsfrieden 1555.
Foto: © Wien Museum

Wien. Im heutigen Straßenbild Wiens dominiert das katholische Erbe. Doch es war nicht immer so. Die Verbreitung der Reformation im 16. Jahrhundert war politisch begünstigt. "Kaum jemand weiß, dass Wien rund ein Jahrhundert lang eine mehrheitlich protestantische Stadt war", sagt schmunzelnd Walter Öhlinger, Historiker und einer der Kuratoren der aktuellen Ausstellung "Brennen für den Glauben. Wien nach Luther" im Wien Museum.

Tatsächlich lässt die heutige prächtige barocke Kulisse der Stadt mit zahlreichen katholischen Kirchen und Klöstern nur schwer erahnen, dass Wien eine Zeit lang konfessionell anders tickte. Der Theologieprofessor aus Wittenberg Martin Luther erschütterte die damalige katholische Kirche in den Grundfesten - auch in Wien. Seine 1517 veröffentlichten 95 Thesen richteten sich in erster Linie gegen eine damals weit verbreitete Korruption und Geldgier, die zu einem regelrechten kirchlichen Geschäftsmodell wurde. Um Gottes Gnade zu empfangen, musste man nämlich zahlen.

"Der damalige Bürger war tief fromm. Diese Frömmigkeit war aber angstbesetzt. Nichts fürchtete man mehr, als in die Hölle oder ins Fegefeuer zu geraten", erklärt Öhlinger die Ursachen, die im 16. Jahrhundert zur Reformation führten. Die Wiener Kirchen waren dabei keine Ausnahmen: "Im Stephansdom gibt es viele Seitenaltäre. In der Zeit vor der Reformation wurden an allen diesen Altären rund um die Uhr Messen gelesen - gegen Bezahlung", so der Wiener Historiker. Dann kam auf einmal Martin Luther mit seiner These: Gottes Gnade empfängt man gratis. Kein Wunder, dass seine Ideen auch in Wien blitzschnell Anhänger fanden.

Habsburger gegen die Stände#

Dazu trugen insbesondere die Entwicklung des Buchdrucks sowie ein ausgeprägter "Pfaffenhass" der Wiener Bürger bei. Und gerade sie waren die Träger der Reformation. Einer der ersten und prominenten Wiener, der reformatorische Ideen verbreitete, war Caspar Tauber. "In der Frühphase der Reformation in den 1520er Jahren wurde im Sinne Luthers gepredigt, aber gegen landesfürstlichen Widerstand und sogar mit Todesurteilen als Folge", sagt Philipp Reichel, Geschichtsvermittler und Autor der historischen App "City Listening", die unter anderem auch Informationen zur Reformationszeit in Wien enthält.

Gerade Caspar Tauber war auch eines der ersten Opfer der Gegenreformation. Da er nicht widerrufen wollte, wurde er nach Erdberg gebracht und dort enthauptet. Den herrschenden Habsburgern als Landesherren von Wien und Niederösterreich war es nämlich stets wichtig, protestantische Gottesdienste in der Stadt zu verbieten.

Trotz Verfolgung verbreiteten sich Luthers Ideen schnell: Nicht nur fromme Bürger, sondern auch Adelige wurden zu feurigen Anhängern des Wittenberger Kirchenreformators. "In Wien hatte die Verbreitung des Protestantismus einen starken politischen Aspekt. Schon vor der Reformation gab es in habsburgischen Ländern einen starken Gegensatz zwischen dem Kaiser einerseits und dem Adel und der Bürgerschaft andererseits."

Hochburg Hernals#

"Der überwiegende Teil der adeligen und bürgerlichen Stände unterstützte dabei die Reformation", beschreibt Walter Öhlinger die rasante Zunahme der reformatorischen Lehre in der Kaiserstadt. Laut historischen Schätzungen geht man davon aus, dass innerhalb weniger Jahrzehnte rund 70 Prozent der Wiener Bürger protestantisch wurden. Katholische Priester in der Stadt klagten über leere Kirchen. Das Verbot von protestantischen Gottesdiensten in der Stadt konnte die Wiener vorerst nicht aufhalten, der Reformation zu folgen.

In Scharen gingen sie sonntags in umliegende Dörfer und auf adelige Güter, um dort an protestantischen Sonntagsmessen teilzunehmen. Bis zu 30.000 Menschen sind damals ausgelaufen, vor allem nach Hernals. Der heutige 17. Bezirk war eine der protestantischen Hochburgen im Heiligen Römischen Reich, das adelige Geschlecht der Jörger ein regelrechtes Reformationsvorbild.

Protestantische Gottesdienste fanden damals sowohl in der Hernalser Pfarrkirche statt, die sich in der Nähe der heutigen Kalvarienbergkirche befand und während der Zweiten Türkenbelagerung zerstört wurde, als auch im Jörgerschen Schloss. "Es gab historische Berichte, dass sogar der Schlosssaal zu klein war für den Ansturm der Leute. Man predigte dann von den Balkonen oder Fenstern ins Freie", so Walter Öhlinger über die damalige Begeisterung der Wiener für die Reformation.

Doch die andauernde Rivalität zwischen den Habsburgern und den adeligen und bürgerlichen Ständen ging schließlich zugunsten der herrschenden katholischen Kaiserfamilie aus: Der Augsburger Friede im Jahre 1555 erkannte zwar den Protestantismus im Heiligen Römischen Reich an, überließ aber gleichzeitig jedem Landesherrn die Wahl der Religion seiner Untertanen. So mussten in habsburgischen Ländern alle, die der katholischen Religion der Herrscher nicht angehörten, entweder zum Katholizismus übertreten oder das Land verlassen.

Nach der Schlacht am Weißen Berg bei Prag 1620 war der Widerstand des protestantischen Adels definitiv besiegt: Es kam die Zeit der harten Gegenreformation. "Nur ein kleiner Teil der österreichischen Stände war schlussendlich bereit, mit den Habsburgern endgültig zu brechen", erklärt Walter Öhlinger den Prozess der Rekatholisierung Wiens. Doch die Gegenreformation bedeutete nicht das Ende der Protestanten in der Stadt. "In dieser Zeit wurden den dänischen, schwedischen und reformierten niederländischen Gesandtschaften die Abhaltung der Gottesdienste in eigenen Gesandtschaftskapellen erlaubt. Aber auch die Geheimprotestanten in der Wiener Bevölkerung gingen dorthin, was von der katholischen Obrigkeit missbilligt wurde", betont Philipp Reichel.

Insbesondere war die dänische Gesandtschaftskapelle, die sich in der heutigen Renngasse auf der Freyung befand, gut besucht. Protestantische Priester und das Abendmahlgerät aus dieser Kapelle wurden nach dem Toleranzpatent Josephs II. von der ersten legalisierten evangelischen Kirche in der Dorotheergasse sogar übernommen. Die turbulenten Zeiten der Reformation verliefen unter den Wienern aber meistens ruhig: "In der Zeit, als die Wienerinnen und Wiener zu den protestantischen Gottesdiensten im Wiener Umland ausgelaufen sind, gab es - bis auf wenige Ausnahmen - keine Zeugnisse von religiösen Konflikten innerhalb der Bevölkerung. Man hat hier friedlich zusammengelebt", stellt Walter Öhlinger fest.

Wiener Zeitung, Dienstag, 14. März 2017