Die vielen Wirkungen des Koffeins #
Ob als Genussmittel oder als Doping für Bürohengste: Kaffee ist aus unserem Alltag nicht wegzudenken. Wird der Konsum heute verharmlost? #
Mit freundlicher Genehmigung der Wochenzeitschrift DIE FURCHE (Donnerstag, 22. Dezember 2016)
Von
Martin Tauss
Wie schön und sexy Kaffeetrinken sein kann, hat George Clooney in seiner Werbung für den Kaffeekapsel- Konzern „Nespresso“ zu verdeutlichen versucht. Das heiße Getränk auf Knopfdruck wohl gemischt in die Tasse zu bekommen, ist derzeit der letzte Schrei des Milliarden-schweren Kaffeegeschäfts. Die Kaffeekultur hat einen beispiellosen Siegeszug angetreten; das belebende Getränk mit dem prägnanten Aroma ist heute in alle Ecken und Winkel unserer Leistungsgesellschaft vorgedrungen. Sogar im Weltraum darf es nicht fehlen: Auf ihrer Reise zur internationalen Weltraumstation ISS hatte eine italienische Astronautin vor zwei Jahren eine spezielle Espressomaschine im Gepäck, damit sie selbst unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit nicht auf ihren täglichen Kaffee verzichten musste.
Kaum zu glauben, dass der Kaffee noch an der Wende zum 19. Jahrhundert heftig umstritten war. Ein Gegner des schwarzen Getränks war etwa Samuel Hahnemann, der Begründer der Homöopathie, der die „Kaffeeschwelger“ gleich auf Entziehungskur schicken wollte. Der Bochumer Arzt Karl Kortum bezeichnete den Kaffee überhaupt als „Pest des Körpers und des Geldbeutels“ und wollte ihn lieber durch die „Pferdebohnen“ ersetzt wissen. Und da die Kaffeehäuser zu beliebten Versammlungsorten der bürgerlich-liberalen Vordenker geworden waren, die dort revolutionäre Pläne zu schmieden pflegten, galt der Kaffee einst sogar als das „radikalste Getränk der Welt“.
Die ersten Kaffeehäuser #
Der Legende nach soll in Wien nach der zweiten Türkenbelagerung das erste Kaffeehaus entstanden sein, als im Heerlager des geflüchteten Kara Mustafa merkwürdige braune Bohnen gefunden wurden. Laut historischen Steuerlisten über Kaffeeimporte ist jedoch davon auszugehen, dass es bereits vor 1683 Wiener Kaffeehäuser gab. Nicht nur die Literaten und Intellektuellen lieben es seither, die anregende Wirkung des Kaffees in der ebenso anregenden Atmosphäre dieser geselligen Orte zu genießen. „Die Vorgänge, die die Genussmittel im menschlichen Organismus bewirken, vollenden sozusagen chemisch, was geistig, kulturell und politisch schon vorher angelegt war“, bemerkte der Historiker Wolfgang Schivelbusch.
Während noch in den 1930er- Jahren Bücher erschienen, die sich kritisch mit den Wirkungen von Kaffee und Koffein auseinandersetzten, hat sich das Pendel zuletzt nur mehr in die positive Richtung bewegt, stellt Wolfgang Beiglböck in seinem kürzlich erschienenen Buch „Koffein“ (2016) fest. Medienberichte und die populärwissenschaftliche Literatur befassen sich heute meist unkritisch mit den positiven Effekten des Koffeins. Im Buch „Schwarz und stark“ (Hirzel, 2013) etwa beschreibt die Pharmazeutin Karen Nieber die Heilwirkungen des Kaffees und berichtet vom breiten Spektrum der Beschwerden und Krankheiten, die das koffeinhaltige Getränk laut klinischen Studien lindern kann: von Kopfschmerzen über Asthma und Diabetes bis hin zur Parkinsonschen Krankheit. Ähnliche Informationen in geraffter Form bietet eine Broschüre zum Thema „Kaffee und Gesundheit“, herausgegeben vom deutschen Grünen Kreuz und unterstützt von der Branchenvereinigung des deutschen Kaffeeverbands. Der Zusammenhang mit anderen Krankheitsbildern, bei denen Kaffee schädlich sein kann, wird hier – wenig überraschend – kaum beachtet. Beiglböck hat sich nun die Mühe gemacht, die aktuelle wissenschaftliche Literatur über Koffein zu sichten und möglichst differenziert auszuwerten.
„Beipackzettel“ für den Alltag #
Aus medizinischer Sicht handelt es sich um eine milde Droge, die in den Blüten, Blättern, Samen und Früchten von mehr als 60 verschiedenen Pflanzen zu finden ist. Neben dem Kaffee wird die stimulierende Substanz heute vor allem in Tee und Kakao sowie in Cola-artigen Getränken und „Energy-Drinks“ konsumiert. In Europa nehmen 80 bis 90 Prozent aller Erwachsenen täglich Koffein zu sich. Im Schnitt werden 200 Milligramm des weißen kristallinen Pulvers pro Tag verzehrt; am meisten davon in Skandinavien. Aber ist Koffein auch gefährlich und gibt es tatsächlich eine Koffeinabhängigkeit? Und wie schädlich beziehungsweise förderlich ist dieser Mythen-umrankte Stoff für die Gesundheit? All diese Fragen werden vom Wiener Psychologen und Suchttherapeuten ausführlich beantwortet.
Dass Koffein die Atmung erleichtert, zählt zu den am besten belegten medizinischen Wirkungen. Auf Intensivstationen bei Frühgeborenen ist Koffein das am häufigsten verordnete Medikament. Auch Erwachsene mit Asthma und anderen Atembeschwerden können profitieren, wobei hier aber das stärker wirksame Koffein-Stoffwechselprodukt Theophyllin zum Einsatz kommt. Ebenso gesichert ist die Verbesserung der geistigen Leistungsfähigkeit. Vor allem bei Routineaufgaben zeigt sich ein positiver Effekt. „Koffein scheint zu einem schnelleren, aber nicht immer genaueren Arbeiten zu führen“, so Beiglböck. Andere Wirkungen seien da schon vorsichtiger zu betrachten, also stets unter Beachtung eines „Wenn und Aber“ – zum Beispiel jene als Schmerzmittel, zur Gewichtsabnahme, zur Vorbeugung von Demenz oder Leberkrankheiten.
Ob jemand trotz Espresso zum Abendessen gut einschlafen kann, ist abhängig vom individuellen Stoffwechsel, also wie schnell das Koffein im Körper abgebaut wird. Menschen, die Koffein schlechter abbauen, bekommen auch eher dessen Nebenwirkungen zu spüren: unter anderem Übelkeit, Durchfall, Unruhe, Kopfschmerzen, Angstzustände oder Schlafstörungen. Eine US-kanadische Forschergruppe hat 2012 einen „Beipackzettel“ für den alltäglichen Umgang mit koffeinhaltigen Produkten erarbeitet. Dort finden sich auch Warnhinweise, etwa für Schwangere, die eine Tagesdosis von 200 Milligramm (ca. 2–3 Tassen) nicht überschreiten sollten. Vorsicht ist auch bei der Kombination von Kaffee mit anderen koffeinhaltigen Produkten und mit Grapefruitsaft angesagt, da dies die Wirkung verstärkt.
Gibt es die Koffeinsucht? #
Dass man von Koffein abhängig werden kann, ist zumindest im Diagnosesystem ICD-10 der WHO verbürgt, nicht jedoch im amerikanischen System DSM-5. Klinische Merkmale der Sucht wie drängendes Verlangen (Craving), Kontrollverlust und Entzugserscheinungen sind jedenfalls auch bei starken Kaffeetrinkern dokumentiert. „Wer schon einmal das Gefühl erlebt hat, dass ‚ich jetzt dringend einen Kaffee brauche‘ oder ‚ohne meinen Frühstückskaffee komme ich aber gar nicht in die Gänge‘, kann dies gut nachvollziehen“, weiß Suchtforscher Beiglböck. In der Praxis der Suchtbehandlung spiele der Koffeinkonsum bislang keine Rolle – wobei oft übersehen wird, dass Suchtkranke nicht nur oft auf andere Drogen wechseln, sondern eben auch auf hohe Dosen Koffein.
Beiglböck stellt gleich eingangs klar, dass er nicht das Ziel verfolgt, ein weiteres Genussmittel zu dämonisieren oder den genussvollen Umgang mit Koffein-Getränken zu reglementieren. Aber er hofft, dass die einseitige positive Sichtweise einem informierten, gezielteren Umgang mit Koffein Platz machen wird. Sein Buch bietet die ideale Grundlage dafür.
- Koffein Genussmittel oder Suchtmittel? Von Wolfgang Beiglböck. Springer, 2016. 175 Seiten, kart., €20,55