Wo Tote als Ratten wiedergeboren werden – Der Tempel der Karni Devi in Deshnoke#
Von
Günther Jontes, 2016
Sämtliche Fotos sind Aufnahmen des Verfassers aus seinem Archiv "Bilderflut". Die Objekte sind Teil der ethnologischen Sammlungen Jontes.
Der Ort Deshnoke Rajasthan, Deshnoke liegt etwa 30 km südlich von Bikaner im indischen Bundesstaat Rajasthan Indien, Rajasthan und beherbergt einen Hindutempel, zu dem stets große Pilgerströme unterwegs sind. Hier findet eine Person aus dem Mittelalter göttliche Verehrung, die mit großer Wahrscheinlichkeit wirklich gelebt hatte und angeblich 1538 im Alter von 151 Jahren gestorben sei. Das ist bereits ein legendenhafter Zug, der Übermenschliches suggerieren soll. Andere Quellen sprechen von einer Lebenszeit im 14./15. Jahrhundert.
Diese Karni Devi (devi „Göttin“) oder Karni Ma (mata „Mutter“), wie sie auch genannt wird, soll noch zu Lebzeiten wegen ihrer spirituellen Fähigkeiten heroisiert und für heilig gehalten worden sein. Auch ihr trotz Verehelichung eingehaltenes zölibatäres enthaltsames Leben hat dazu beigetragen. Warum und auf welche Weise ihre Vergöttlichung geschah, wird legendhaft erzählt.
In einer lokalen Fürstenfamilie soll ein Sohn gestorben sein. In Trance begab sich Karni in das unterirdische Reich des Totengottes Yama und bat diesen, den Toten freizulassen und ihn ins Leben auf Erden zurückkehren zu lassen. Yama verneinte aber, denn die psychische Identität des verstorbenen Fürstensohnes sei bereits in einem anderen Körper geschlüpft und in diesem wiedergeboren worden. Karni tat nun den Schwur, dass kein Mensch aus ihrem Umkreis nach seinem Ableben das Totenreich Yamas betreten werde. Die Seelen dieser Verstorbenen würden als Ratten ihre Wiedergeburt finden. Hätten sie dieses tierische Leben beendet, so würden sie in einer neuerlichen Reinkarnation als hochgeachtete Balladensänger und Musiker in Rajasthan erscheinen, wo all die Rajputen in ihren Fürstentümern bis heute solche Barden in ihrem Hofstaat haben.
Die in Ratten wiedergeborenen Menschen leben nach der frommen Meinung der Pilger in dem Tempel in Deshnoke, der etwa 600 Jahre alt sein dürfte. Seine kostbare Ausschmückung geht vor allem auf den Maharaja Ganga Singh von Bikaner /1880-1943) zurück. Die figuralen Darstellungen zeigen im Bilde den Umkreis der Familie des Hochgottes Shiva. Karni Devi wird als eine Personifikation eine der heroischen, amazonenhaften Gattinnen Shivas betrachtet. Deshalb trägt sie auch als Attribut seinen Dreizack (trishula) und verkörpert mit einem Löwen die Gattin Durga, mit einem Tiger seine Frau Amba. Ihr Gnadenbild ist ein rohes Flachrelief in einer Nische des Tempels, das stets mit der ehrfurchtsgebietenden Farbe Rot bestrichen ist. Zu ihren Füßen tummeln sich Ratten und fressen von den ihnen dargeboten Speisen, die in einer eigenen Küche für sie gekocht werden. Stets wird ihnen auch Milch vorgesetzt.
Heute sind es an die 20.000 Ratten, die hier leben. Der Tempel ist auch Nichthindus zugänglich. Das Allerheiligste ist ihnen allerdings verschlossen. Für einen besonderen Glücksfall wird es gehalten, wenn man unter den zahlreichen Nagern einen Albino erblickt. Dem Verfasser ist dies gelungen und er wurde von zahlreichen Pilgern inständig gebeten, ihnen ein Photo davon zukommen zu lassen.