Pekings Neuer Sommerpalast #
Ein Wintertraum#
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Die Bilder wurden vom Verfasser in den Jahren 1994 und 1996 aufgenommen. Sie sind Teil des Archives „Bilderflut Jontes“
In den Zonen gemäßigten Klimas schreibt die Natur dem Menschen andere Gewohnheiten des Kleidens, Essens, Wirtschaftens und Wohnens vor als dort, wo ewiger Frühling herrscht. Wenn es im Winter bitter kalt war, dann wohnte der europäische Adel einst im Stadtpalais und feierte dort seine rauschenden Feste. Und im Sommer bezog man seine Schlösser auf dem Lande, belustigte sich dort mit Picknick und Jagd und ließ es sich in Park und Garten gut gehen. Und der Traum vom Ferienhäuschen auf dem Lande – und sei es noch so klein – erfüllen sich viele Städter in der Gegenwart und geben sich der Illusion hin, in seiner Schrebergartenlaube mit Minipool und Grillherd ein Leben in sommerlicher Entspanntheit zu führen und sei es auch nur an Wochenenden. Man muss nicht allzu weit um sich blicken, um zu begreifen, warum etwa Kaiserin Maria Theresia sich die sommerliche Prachtresidenz Schönbrunn bauen ließ oder ihre Kinder und Nachkommen lieber den Sommer in Laxenburg vor den Toren von Wien verbrachten als in der düsterkalten Wiener Hofburg. Es gab das Ideal des „adeligen Landlebens“.
Potentaten in anderen Ländern, ja Erdteilen hielten und halten es nicht anders und dort, wo es nahezu unbeschränkte Ressourcen an Land und menschlicher Verfügbarkeit und Arbeitskraft gab, pflegte man es genauso. So auch im kaiserlichen China, das ja nach mehrtausendjährigem Bestand 1911 als Republik endete.
Zu den meistbesuchten Fremdenverkehrsattraktionen der chinesischen Hauptstadt Peking zählt der Neue Sommerpalast, der 1998 zu einem Monument des UNESCO-Weltkulturerbes erhoben wurde. China und Japan hatten es seit langen Zeiträumen verstanden, der Natur als Landschaft und Reich Floras seinen Willen aufzuzwingen und im schönsten Fall sie so zu gestalten, dass der Besucher den Eindruck gewann, die Natur selbst hätte hier ohne Einfluss des menschlichen Willens geschaffen. Das entsprach dem alten taoistischen Prinzip des Wuwei, des Nichtstuns im Sinne von Waltenlassens von Natur und menschlichem Schicksal und des Nichteingreifens in diese ewigen göttlichen Kräfte.
Der Neue Sommerpalast (chin. Yihéyuán) war für die kaiserliche Familie, wie der Name in Übersetzung heißt, ein „Erholungs- und Friedensgarten“. Er liegt im Nordwesten Pekings unweit des Alten Sommerpalastes, welcher während des Zweiten Opiumskrieges von den Armeen der imperialistischen Mächte Großbritannien und Frankreich 1860 zerstört worden war und noch heute in Ruinen liegt.
Der Neue Palast wurde 1751 bis 1764 durch Kaiser Qianlong errichtet, unter dem China als Territorialstaat seine größte Ausdehnung mit dementsprechender Machtfülle erlangt hatte. Diese Anlage war ein beeindruckender Landschaftsgarten, der auch wie der Alte Sommerpalast im erwähnten Krieg ebenfalls zerstört wurde. Aber die letzte wahrhafte Herrscherin Chinas, die Kaiserinwitwe Cixi hat ihn 1885 bis 1895 wieder aufgebaut. Dazu wurden Gelder abgezweigt, die dafür bestimmt waren, die chinesische Kriegsflotte zu modernisieren, um den imperialistischen Mächten besser Paroli bieten zu können. Der Sommerpalast, wie er heute existiert, stammt also aus der allerletzten Zeit des chinesischen Kaiserreiches. Während des Boxeraufstandes 1900 gab es abermals Zerstörungen durch die englischen Expeditionstruppen, die diese Rebellion niederkämpften, die aber bald beseitigt werden konnten.
Heute mutet es etwas seltsam an, wenn da ein unsinkbares Schiff aus weißem Marmor in den Fluten des Kunming-Sees steht. Es gleicht wohl mehr einem Mississippi-Dampfer als einer Kriegsdschunke oder gar einem modernen Kriegsschiff des 19. Jahrhunderts. Das Ganze ist als feine Ironie zu verstehen, die diskret darauf hinweist, dass das Sommervergnügen des Hofes für wesentlicher gehalten wurde als die Verstärkung der maritimern Wehrkraft zum Schutze des Reiches
Und so erfreuen sich die Nichtschwimmer leicht bekleidet in der brütenden Hitze des Sommers an seiner Standfestigkeit, während sich Besuchermassen auf Booten in Gestalt von Drachen im Fahrtwind auf dem See abkühlen, der eigentlich ein von Menschenhand gegrabener Riesenteich ist.
Die Hauptstadt Peking liegt im Norden Chinas in einer Zone kontinentalen Klimas. Das bringt krasse Gegensätze der Jahreszeiten. Glutheiße, schwüle Sommer stehen bitterkalten Wintern gegenüber, in welchem stehende und kleinere fließende Gewässer sich mit einem Eispanzer bedecken. Wer Peking im Winter besucht, sollte es sich nicht entgehen lassen, dem Sommerpalast auch in dieser Jahreszeit die Ehre zu geben. Denn da genießt man Stille – die Chinesen sind ein sehr lautstarkes Volk! – und kann bei der Betrachtung der künstlerischen Attraktionen sich diesen nahezu ungestört nähern und widmen. Im Winter gibt es hier am Rande der Metropole meist blauen Himmel und das spiegelnde Eis wirft im Widerschein seinen Glanz auf die zahlreichen Bauten.
Die Attraktionen des Sommers ruhen. Man begegnet nur wenigen Menschen. Nun hat man nach dem sommerlichen Trubel Zeit und Gelegenheit sich in Ruhe und Konzentration etwa der unglaublichen baulichen Schönheit und der Bilderwelt des 728 m langen Wandelganges am Ufer des Sees zu widmen.
Leicht geschwungen und durch eingebaute achteckige Pavillons zieht er sich hin. Er wird durch 273 Säulenpaare gebildet und beim Durchschreiten wird der Blick unwillkürlich in die Höhe gezogen, denn da ziehen unglaubliche 8000 Malereien aus mit Szenen aus Mythologie und Geschichte die Aufmerksamkeit auf sich.
Für Chinesen besonders aufschlussreich und anziehend sind die Darstellungen mit den Abenteuern und Taten des Affenkönigs Sun Wukong, des Helden des wohl berühmtesten klassischen Romans Chinas „Die Reise nach dem Westen“. Dieser gehört in so hohem Maße zum Bildungskanon Chinas wie es etwa die Sagen und Märchen der Gebrüder Grimm für den deutschen Sprach- und Kulturkreis sind.
Die Handlung spielt in einer fernen Zeit, als nämlich der Mönch Xuanzang im 3. Jahrhundert v. Chr. von China nach Indien. reist, um die originalen Schriften des Buddhismus, dieser für China neuen Religion, zu holen und in seine Heimat zu bringen. 16 Jahre lang ist er unterwegs und er hätte dieses Abenteuer niemals üb erstandenm, wenn ihm nicht der Affenkönig mit mehreren weiteren skurrilen Gestalten zur Seite gestanden wäre. In Asien gilt der Affe im Gegensatz zum Westen als liebenswert und als dem Menschen wohlgesonnen. Er ist klug bis schlau, mutig, weise, humorvoll, oft aber auch respektlos, was ihn noch sympathischer erscheinen lässt. Und er ist ein Mordskämpfer und dem ihm anvertrauten Mönch restlos ergeben.
Szenen aus der chinesischen Geschichte in unüberschaubarer Zahl, dazu weitere Mythen und literarische Werke führen weiter und geben auf dem Menschen aus dem Westen einen gewissen Eindruck vom Leben Chinas in der Zeit kurz vor dem Ende der Kaiserzeit.
Für den kaiserlichen Hof wurde Abwechslung in jeder Form geboten. Im „Garten der Tugend und Harmonie“ erhebt sich ein mehr als 20 m hoher Theaterbau, in welchem Pekingopern in ihrer sensationellen Mischung aus Akrobatik, Kampfszenen, komischen Intermezzi im Gleichklang von Musik und Gesang abrollten.
Der Blick findet stetigen neuen und unerwarteten Augenschmaus durch Skulpturen, welche Fabelwesen aus der reichen und vielfältigen chinesischen Mythologie darstellen. Jede einzelne ist ein Meisterwerk des Bronzegusses und ein unglaublicher Detailreichtum verdient es, lange betrachtet und in sich aufgenommen zu werden.
Ein Paar männlicher und weiblicher Löwen begleitet den Eintritt zu den dem Kaiser vorbehaltenen Gebäuden. Sie sind als Wächter zu verstehen. Das Männchen steht immer rechts und spielt dabei mit einer Kugel unter seiner Tatze. Dieser Ball war ursprünglich eine Perle und ist das Symbol für die vom Himmel herabgeholte Energie. Da Löwen in China nie heimisch waren, wurden sie erst im 3. Jahrhundert v. Chr. durch das Eindringen des Buddhismus aus Indien, einem Löwenland, hier bekannt.
Der Drache /chin. long) ist dem Menschen wohlgesonnen. Er beherrscht die Wasserfluten und teilt Regen in richtigem Maße den Menschen für die zeitgerechte Bestellung ihrer Felder zu. Nach dem Volksglauben gibt es Drachen überall in Bergen, Flüssen, Höhlen, selbst in Brunnen. Er setzt sich aus den Kennzeichen verschiedener Tiere zusammen und begleitet Weltbild und Religion des Reiches der Mitte von Anfang an. Sein Leib gleicht dem einer Schlange, der Kopf, auf dem ein Hirschgeweih sitzt dem eines Büffels. Er besitzt Schuppen wie ein Karpfen. Über seinen Rücken läuft ein Schuppenkamm, seine Beine ähneln dem eines Adlers. Nur kaiserliche Drachen dürfen fünf Krallen zeigen. Sein Gegenstück ist der Fenghuang, der als Vogel und Symbol der Kaiserin in seinem Namen als Phönix übersetzt wird, obwohl er mit diesem westlich-antiken mythologisch überhaupt nichts zu tun hat. Dieses Symbolpaar tritt in China erstmals zur Zeit der Streitenden Reiche (480-221 v.Chr.) auf.
Von nicht geringerer Bedeutung als mythischer Schützer der Menschheit ist auch das Qilin, ein Fabelwesen, welches Fruchtbarkeit und Geburt beschützt und dem Menschen in vielerlei Hinsicht nützlich ist. Der Kopf dieses Weserns gleicht dem eines Drachen und weist das Geweih eines Hirschen und die Barteln eines Karpfen auf. Rumpf und Beine samt Hufen sind einem Ochsen nachempfunden, während der Schwanz der eines Löwen ist.