Warum manche Arbeit mehr wert ist#
Angebot und Nachfrage erklären nur einen minimalen Teil des Einkommens, das für Arbeit bezahlt wird - ein Essay.#
Von der Wiener Zeitung (23. Februar 2020) freundlicherweise zur Verfügung gestellt
Von
Martina Madner
Unsere Arbeit ist emotionale Schwerstarbeit", sagt Dilara Dagasan, Freizeitpädagogin an einer Wiener Schule. Sie ist eine von rund 1600 österreichweit, die diesen Beruf ausüben, zugleich eine der insgesamt 125.000 in der Sozialwirtschaft Beschäftigten, deren Arbeit gerade wertangepasst wird - und zwar in den Kollektivvertragsverhandlungen der Branche.
Dagasan setzt mit ihrer Arbeit da an, wo die Kinder Förderbedarf haben, zum Beispiel in der Leseförderung. Sie wirkt am Bildungsauftrag mit. Dafür gibt es von Kindern Wertschätzung: "Sie freuen sich, umarmen dich, da gibt es sehr viel Liebe und Aufmerksamkeit." Eltern sprechen mit ihr über Familienprobleme. "Wir haben die gleiche Verantwortung für die Kinder wie die anderen Pädagoginnen", sagt Dagasan. "Über unser Gehalt erfahren wir aber definitiv keine Wertschätzung." In Dagasans Fall sind es 1945 Euro brutto für 32 Wochenstunden.
"Wir arbeiten für und mit Menschen", sagt die Freizeitpädagogin. So wie jene in der Sozial- oder Behindertenarbeit, jene in der Wohnungslosen-, Flüchtlings- und Suchtkranken-Hilfe oder der Pflege - also jenen, die mit dem "wertvollsten Gut überhaupt arbeiten", wie Vida-Gewerkschafterin Michaela Guglberger sagt. Trotzdem ist die monetäre Bewertung dieser Arbeit geringer als jene von anderen Menschen: In Vollzeit beträgt das Einkommen der 125.000 in der Sozialwirtschaft Beschäftigten im Durchschnitt 1950 Euro brutto im Monat, für Arbeiter und Angestellte insgesamt aber 2400 Euro brutto. Warum eigentlich?
Marktwert am Arbeitsmarkt#
Für manche heißt es schon im Alter von 15, 16 Jahren: "Willkommen am Arbeitsmarkt!" Sie beginnen eine Lehre, tauschen dabei ihre Arbeitkraft, also zunehmend mehr qualitätsvolle Arbeitsleistungen gegen Ausbildung und Lehrlingsentschädigung ein. Burschen übrigens am häufigsten in der Metalltechnik, an zweiter Stelle rangiert die Elektro-, an dritter die Kfz-Technik. Bei Mädchen sind Lehren als Einzelhandels- und Bürokauffrau sowie als Friseurin am beliebtesten.
Weil beliebt, ist das Angebot an potenziellem Nachwuchs, der an Autos schrauben und Haare stylen will, groß - oft größer als die Nachfrage. Trotzdem erhalten jene in der Kfz-Technik schon im ersten Lehrjahr 596 Euro, Frisörinnen und Frisöre aber 470 Euro. Im Fleischereigewerbe, wo deutlich weniger Interesse an den offenen Lehrstellen besteht, gibt es 582 Euro. Auch wenn das eine weniger blutige, mehr hygienisch anspruchsvolle Arbeit ist, als es scheint - klar ist, schon die Lehrlingsentschädigung bemisst sich nicht an Angebot und Nachfrage. Das Minimum ist kollektivvertraglich abgesichert, Überzahlung, um mehr Nachwuchs in einen Lehrberuf zu locken, wäre zwar möglich, ist in Österreich aber absolut unüblich.
Schon beim Vergleich der Wurstfachverkäufer mit jenen Mitarbeitern vom Sporteinzelhandel zeigt sich, dass das Image beim Wert der Arbeit eine Rolle spielt. Ein weniger gutes Image würde eigentlich für eine bessere Entlohnung sprechen. In der Praxis ist das aber oft umgekehrt, und zwar wegen des Superstar-Phänomens, wie Armon Rezai, Professor an der Wiener Wirtschaftsuniversität erklärt. Obwohl es vielen jungen Menschen erstrebenswert erscheint, Superstar zu werden, ist das Einkommen solcher nicht niedrig. Ganz im Gegenteil: In Bereiche wie Sport oder Musik drängen viele hinein, aber nur ganz wenige verdienen damit Geld, die dafür aber umso mehr: "So wie in der Lotterie, wo ganz viele Menschen mitspielen, um den einen ganz großen Hauptpreis zu gewinnen."
Unbezahlt oder unbezahlbar#
Die Sozialwirtschaft scheint nicht so sehr der Hauptpreis zu sein. Insbesondere in der stationären Pflege berichten Arbeitgeber von einem Mangel an Arbeitskräften, einer steigenden Nachfrage - das Einkommen aber steigt kaum. Katharina Mader setzt sich an der WU mit bezahlter und unbezahlter Haus- und Sorgearbeit auseinander. Sie hat die These, dass Pflege, Kinderbetreuung und -erziehung weniger gut entlohnt sind, weil sie typischerweise von Frauen und nicht von Männern gemacht wird, "wie im Haushalt, wo sie ohne Ausbildung, ohne Bezahlung, ohne Wertschätzung stattfindet".
Zwar ist die letzte Zeitverwendungsstudie nicht mehr taufrisch. Sie zeigte aber, dass die Bevölkerung hierzulande zusätzlich zu den 9,5 Milliarden Stunden an bezahlter Arbeit, neun Milliarden Stunden Haus- und Sorgearbeit unbezahlt leisteten - zwei Drittel davon Frauen. Mader hat berechnet, dass diese - mit dem Durchschnittslohn in personenbezogenen Dienstleistungen bezahlt - 100 bis 105 Milliarden Euro wert wäre, was unbezahlbar wäre. Dass sie aber unbezahlt ist, wirkt sich offenbar auch auf den professionalisierten Bereich von Arbeit aus - und zwar negativ beim Einkommen.
Es ist übrigens nicht eindeutig nachgewiesen, was Henne, was Ei ist: Ob mit mehr Männern in der Branche das Einkommensniveau dieser steigt oder mehr Frauen in einer solchen verbleiben, sobald das Niveau sinkt. Das patriarchale, eigentlich überholte Bild vom Mann als Familienernährer, der gut verdienen muss, scheint allerdings eine Rolle beim Einkommensniveau typischer Frauen- und Männer-Branchen zu spielen.
Drängen mehr Frauen in einen Bereich, scheint das Einkommen dieser weniger stark zu steigen, kommen mehr Männer, wirkt sich das positiv auf die Löhne aus. "Es ist mehr als ein subjektiver Eindruck", sagt Thomas Leoni, Lohn- und Einkommenspolitik-Experte am Wifo. "Es ist eine sehr plausible These, die allerdings empirisch nicht gut belegt ist." Neben patriarchalen Mustern könnte das auch an mehr Teilzeit und einem damit geringeren Organisationsgrad der Beschäftigten typischer Frauen-Branchen liegen.
Risiko, Gefahr, Verantwortung#
Gefährliche, schmutzige, unangenehme oder schwere Arbeit wird laut Arbeitsökonomie höher bewertet. Das spricht dafür, dass Arbeit am Hochofen besser entlohnt wird - genauso wie jene bei der Müllabfuhr. Warum aber die Pflege, die körperlich und psychisch belastet, außen vor bleibt, erklärt das nicht. Die öffentliche Hand könnte zwar steuern, aber gemessen am Einkommen scheint auch ihr die Arbeit bei der Müllabfuhr mehr wert zu sein als jene in Pflegeheimen.
Auch hohe Verantwortung spiegelt sich nicht in jedem Einkommen wider: Bei Pilotinnen und Piloten wird sie gut abgegolten, in der Elementarpädagogik aber nicht. Und das, obwohl klar belegt ist, dass jeder in frühkindliche Entwicklung investierte Euro das 16-fache an Kosten spart, die die Gesellschaft später ausgeben müsste, falls was schief läuft. Sie lohnt sich auch mehr als jene von Studierenden. Trotzdem wird Bildung im Kindergarten weniger gut entlohnt als solche an der Uni.
Es ist also die lange Ausbildung? Tatsächlich steigert Aus- und Weiterbildung die Qualität von Arbeit. International zeigt sich außerdem, dass dort, wo Elementarpädagogik an der Uni gelehrt wird, sie später auch mehr wert ist. Aber auch diese Erklärung hat Grenzen: Warum erhält sonst jemand mit einem Master der Sozialarbeit weniger Einkommen als einem in der Architektur?
Macht und Verhandlungen#
Es ist die Produktivität, die mit dem Einkommen bemessen wird, rufen manche Ökonomen - und deren Steigerung, die mit Lohnerhöhungen weitergegeben werden. Und die lässt sich in der Sozialwirtschaft nun nicht so beeinflussen, wie in der Industrie - deshalb weniger Einkommen, weniger Steigerung.
Das stimmt zum Teil: Die Anzahl der Personen, die eine Fachkraft pro Tag pflegt, kann nicht so erhöht werden wie die an Fließbändern produzierten Produkte. Die Qualität der Arbeit lässt sich aber schon steigern, indem man die Fachkräfte bei Dokumentationspflichten entlastet oder durch dezentralere Organisation und kürzere Fahrtwege. Aber nicht nur das: Auch Wertschätzung wirkt sich positiv auf die Produktivität aus, wie Irene Kloimüller, Medizinerin, Psychotherapeutin ausführt. Sie berät mit "Wert:Arbeit" Betriebe und Institutionen in Sachen Arbeitsfähigkeit.
Das Erasmus-Center in Rotterdam belegte, dass die Wertschätzung die Zufriedenheit, psychische Gesundheit und Motivation von Arbeitenden erhöht, was einen Produktivitätsunterschied von 26,6 Prozent ausmachen kann. Auch Kloimüllers Studien zeigten, dass sich die Arbeit von Reinigungskräften im Spital schon alleine dadurch verbesserte, dass diesen mehr vermittelt wurde, wie wichtig Hygiene für die Gesundung von Patienten ist.
Also, sagen wir der Sozialwirtschaft einfach: Danke - und alle sind zufrieden? Wohl kaum. Die Zufriedenheit endet dort, wo Einkommen als ungerechtfertigt niedrig empfunden werden. "Da hilft aller Sinn, den man sonst in der Arbeit sieht, nicht weiter", sagt Kloimüller. "Die Ressourcen wären vorhanden, sie sind nur in den falschen Händen", stellt auch Freizeitpädagogin Dagasan fest.
"Löhne sind immer etwas zutiefst sozial Verhandeltes", sagt Rezai. Beim Einkommen geht es also letztlich auch um die Macht, die eigene Leistung oder jene der Branche als bedeutsam und unverzichtbar darzustellen - und sich damit lohn- und gesellschaftspolitisch durchzusetzen. Also mal schauen, ob das den Beschäftigten der Sozialwirtschaft oder ihren Arbeitgebern oder beiden gemeinsam gegenüber den Verantwortlichen in der Politik gelingt.