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Nebenströme der Papier- und Zellstoffindustrie in der Steiermark#

Von

Sylvia Sammer(25. August 2016)


Österreich ist in der glücklichen Lage, über eine große Waldlandschaft zu verfügen. Knapp die Hälfte des Landes besteht aus Wäldern, die sich aus insgesamt 65 verschiedenen Baumarten zusammensetzen, wie die Arbeitsgemeinschaft der österreichischen Holzwirtschaft in ihrer Dokumentation „Wald in Zahlen“[1] festhält. Den Großteil der Gehölzer machen Fichten, Buchen, Kiefern, Lärchen, Tannen und Eichen aus. Die heimischen Wälder dienen den Menschen nicht nur als Erholungs-, sondern vor allem auch als Wirtschaftsraum mit einem Produktionswert von „jährlich 12 Milliarden Euro.“[1]

Es ist aber nicht die Holzwirtschaft allein, die die heimischen Wälder so wertvoll macht. Der Rohstoff Holz dient auch als Basis für Forschungsarbeiten, die sich um drängende Fragen rund um die globale Ressourcenproblematik drehen.

Auf der Suche nach Ersatz für Produkte aus Erdöl & Co. #

Ausgehend von der Überlegung, dass die Erdölvorräte unserer Welt eines Tages zu Ende gehen werden, suchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon heute nach Ersatzstoffen, um die Menschheit auch in Zukunft mit Produkten und Materialien versorgen zu können, die derzeit aus erdölbasierten Stoffen erzeugt werden.

Eine Schlüsselrolle nimmt in diesem Zusammenhang die heimische Papier- und Zellstoffindustrie ein. Als Hauptnutzer des Rohstoffes Holz erschließt sie mittlerweile weit über die klassische Papier- und Zellstofferzeugung hinaus neue Produktionspotentiale. Immer mehr Betriebe der Papier- und Zellstoffindustrie sind etwa in Bioraffinerien tätig, wo sie aus Biomasse von nachwachsenden Rohstoffen Materialien und Produkte verschiedenster Art erzeugt wollen – als Lösungsansatz für globale Probleme im Bereich der Klima- und Ressourcenpolitik.

Eine Kooperation von Industrie und Wissenschaft zur besseren Nutzung der Bestandteile von Holz#

Auch österreichische Vertreter aus Industrie und Wissenschaft arbeiten an dieser Thematik. So befasst sich etwa eine Kooperation zwischen Unternehmen der österreichischen Zellstoff- und Papierindustrie mit der BOKU Wien (Department für Chemie, Abteilung für Chemie nachwachsender Rohstoffe), der Technischen Universität Graz (Institut für Papier- und Zellstofftechnik)und der Universität Graz (Wegener Institut) mit der Erforschung einer optimierten stofflichen Nutzung von Produkten und Nebenprodukten aus der Zelluloseherstellung. „FLIPPR“[2](Future Lignin and Pulp Processing Research)heißt das Forschungsprojekt, in dem wissenschaftliche Grundlagen erarbeitet und die Ergebnisse in der Folge mit Partnern aus Industrie und Wirtschaft umgesetzt werden sollen.

Schwerpunkt Ligninforschung#

Ein vielversprechender Forschungsbereich ist in diesem Zusammenhang das Lignin - ein organischer Stoff, der in der pflanzlichen Zellwand eingelagert die Verholzung der Zelle und damit in der Folge die Stabilität des Baumes bewirkt. Neben Zellulose und Hemizellulose ist Lignin daher ein wichtiger Bestandteil von Bäumen.

Bei der Papierherstellung ist das spröde, braun gefärbte Lignin allerdings unerwünscht, da es zur Vergilbung des Papiers beitragen würde. Aus diesem Grund wird es üblicherweise in einem aufwendigen Verfahren aus dem Holz herausgelöst. Genutzt wird es in der Folge zur Energie- und Wärmegewinnung in Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, ansonsten ist es für die Papier- und Zellstoffproduktion nutzlos.

Anders ist die Lage am Institut für Papier-und Zellstofftechnik der Technischen Universität Graz[3] - hier steht Lignin im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Professor Wolfgang Bauer und sein Team forschen an der stofflichen Nutzung des Lignins, das die Fasern des Holzes miteinander verkittet und den Bäumen so die nötige Druckfestigkeit gibt. Lignin ist ein sehr komplexes und stark verzweigtes Molekül, das als Naturprodukt außerdem in jedem Baum ein bisschen anders wächst. Diese enorme Komplexität des Lignins macht es den Forschern nicht leicht, daraus einen stabilen Rohstoff zu gewinnen, der in einer stofflich verwertbaren Form neuen Verwendungszwecken zugeführt werden kann. Professor Bauer und sein Team verfolgen dennoch dieses Ziel und sehen künftige Einsatzszenarien von Lignin unter anderem als Bindemittel in der Papierindustrie oder als Bestandteil von Klebstoffen, Düngern und weiteren Produkten, die somit auf Basis eines nachwachsenden heimischen Rohstoffes produziert werden könnten.

Bis es so weit ist, sind allerdings noch einige Vorarbeiten zu leisten: So ist etwa die braune Farbe des Lignins in Klebern und ähnlichen Produkten meist unerwünscht. Das erfordert was eine Entfernung der Chromophore aus dem Lignin– eine Aufgabenstellung, der sich Professor Bauers Projektkollegen am Institut für Bodenkultur in Wien[4] widmen, und auch die Themen Gewinnung, Verarbeitbarkeit oder Qualität von Lignin erfordern noch einiges an Forschungsarbeit. Mit Prototypen in Laborversion sind Wolfgang Bauer und sein Team bereits erfolgreich, Ergebnisse im großtechnischen Maßstab erwarten die Forscher in einigen Jahren.

Nanozellulose – ein Biomaterial mit beeindruckenden Eigenschaften#

Nicht nur in Lignin setzen Wissenschaftler große Hoffnungen, wenn es um nachwachsende Rohstoffen für die Zukunft geht, auch die Kraft der Zellulose soll künftig auch abseits der Papier- und Zellstoffproduktion von Nutzen sein.

Konkret geht es um Nanozellulose, die bei sehr geringem Gewicht über eine außergewöhnlich große Stärke und Festigkeit verfügt. Diese Eigenschaft kann beispielsweise bei der Produktion von faserverstärkten Kunststoffen sehr nützlich sein. Kunststoffteile dieser Art könnten in der Folge bei Fahrzeugen zu deutlichen Gewichtseinsparungen und damit zu einem geringeren Treibstoffverbrauch führen, und als Verdickungsmitteln in der Zementindustrie könnten Nanozellulose-Partikeln zu einer stabileren und dabei leichteren Bauweise führen. Noch sind konkrete Anwendungen allerdings Zukunftsmusik, da derzeit noch an der großtechnischen Umsetzung der gewonnen Kenntnisse mangelt.

Isolierung von nanokristalliner Zellulose an der TU Graz#

Im Prototypen-Status konnten unter anderem auch österreichische Forscher bereits erste Ergebnisse erzielen. Am Institut für chemische Technologie von Materialien der Technischen Universität[5] Graz entwickelte etwa ein Forschungsteam um Prof. Stefan Spirk ein Verfahren, das die Isolierung von nanokristalliner Zellulose möglich macht. Dadurch können in der Folge die besonderen mechanischen Eigenschaften der Nanozellulose für weitere Zwecke genutzt werden. Ein weiterer Vorteil dieses Verfahrens ist auch seine besondere Umweltfreundlichkeit: Die bei der Isolierung der nanokristallinen Zellulose verwendete Säure kann bis zu 99,9 Prozent recycelt und in weiteren Prozessen wieder verwendet werden.

Solarzellen aus Papier #

Ein ganz anderes Nebenprodukt der Papier- und Zellstoffindustrie haben WissenschaftlerInnen am Institut für Festkörperphysik der Technischen Universität Graz entwickelt. Der Physiker Robert Schennach nutzt hier Papier für Solarstromanlagen. Ein nicht ganz einfaches Verfahren, da die raue Oberfläche des Papiers für diese Zwecke zunächst nicht geeignet schien. In Zusammenarbeit mit Bettina Friedel, einer Expertin für opto-elektronische Anwendungen an der Technischen Universität Graz, konnte Robert Schennach die Problematik aber lösen und kann nun in kurzer Zeit und sehr kostengünstig auf einer Papiermaschine große Flächen produzieren, die als Substrate für Solarzellen dienen. Um Papier tatsächlich elektronisch leitfähig zu machen, war allerdings einiges an Forschungsaufwand nötig. Die Lösung fanden Bettina Friedel und Robert Schennach schließlich in Silber-Nanodrähten, die sie so präparierten, dass sie eng an die Zellulosefasern des Papiers gebunden von einem polymerischen Halbleiter ummantelt werden können. Mit Solarzellen auf Papierbasis könnten künftig Wände ebenso tapeziert werden, wie ganze Fassaden, wobei es bezüglich der Umweltstabilität im Außenbereich allerdings noch einige Fragen zu beantworten gilt.

Bioenergie als Nebenprodukt der Zellstoffindustrie#

Ein weiterer großer Bereich der heimischen Papier- und Zellstoffindustrie ist die Energiegewinnung auf Basis des nachwachsenden Rohstoffes Holz. Zu den wichtigsten heimischen Vorreitern zählt hier die Zellstoff Pöls AG[6] – einer der größten Hersteller von gebleichtem Langfaser-Sulfatzellstoff Zentral- und Osteuropas mit Sitz in der Steiermark. Das Unternehmen nutzt die bei den Zellstoffproduktionsprozessen entstehende Energie für eine umfassende Strom- und Fernwärmenutzung. Nicht nur sämtliche eigenen Produktionsprozesse werden mit diesem selbst generiertem Strom betrieben, auch viele Haushalte der Region können mit diesem grünem Strom aus erneuerbarer Energie beliefert werden.

Auch in Sachen Fernwärme hat die Zellstoff Pöls AG ein innovatives Forschungsprojekt realisiert und beliefert nun über ein rund 20 Kilometer langes Leitungsnetz die Gemeinden Pöls, Fohnsdorf, Judenburg und Zeltweg mit Bio-Fernwärme aus der Zellstoffproduktion[6].

Weitere Nebenströme der Papier- und Zellstoffindustrie#

Damit ist für die steirischen Papier- und Zellstoffexperten die Wertschöpfung des Rohstoffes Holz aber noch nicht erreicht. In Kooperation mit österreichischen Universitäten wird nach weiteren Innovationsmöglichkeiten gesucht, und so manches Forschungsergebnis wurde auch bereits umgesetzt - etwa die Produktion von Tallöl, das fossiles Erdgas durch erneuerbare Energie ersetzen kann. In der Farben-, Kosmetik- oder Arzneistoffindustrie kann es in der Folge neuen Produktionszwecken zugeführt werden. Auch biogene Treibstoffe, wie Biodiesel, stehen im Forschungsinteresse des großen Zellstoff- und Papierproduzenten, der neben seiner traditionellen Produktionstätigkeit somit zwei weitere große Ziele verfolgt: die Erzeugung von Bioenergie und die Nutzung von relevanten Nebenströmen der Papier- und Zellstoffindustrie für innovative, ressourcen-bewusste Zwecke.

Die unermüdliche Forschungstätigkeit von Wissenschaft und Industrie trägt dazu bei, das Nutzungspotential des nachwachsenden Rohstoffes Holz bestmöglich auszuschöpfen und auf diese Weise dafür zu sorgen, dass wir eines Tages viele auf Erdölbasis produzierte Produkte ersetzen können - durch einen Rohstoff, der wohl noch in vielen Jahrhunderten direkt vor unserer Haustüre wachsen wird.


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