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In diesem Zusammenhang fasziniert die Entwicklung des Serienprodukts ‚Auto‘. Kein zweites Industrie-
produkt der westlichen Welt in diesem Jahrhundert hat einen so bedeutsamen gesellschaftlichen Stellenwert
wie das Auto. Bei keinem anderen Produkt herrscht so viel Einigkeit unter sonst sehr verschiedenen gesell-
schaftlichen Schichten. Der Prestigewert eines Autos der Luxusklasse ist nicht gekoppelt mit einer bestimm-
ten Einkommensschicht. Der damit verbundene ästhetische Code ebenfalls nicht. Einzig der Kaufwert des
Fahrzeuges entscheidet über die persönliche Verfügbarkeit.
Überträgt man diese Überlegungen auf das Produkt Möbel, so lässt sich – wie oben schon angedeutet –
erkennen, dass hier sehr wohl verschiedene gesellschaftliche Gruppierungen jeweils ihre speziellen ästheti-
schen Codes besitzen. Der einem Möbel innewohnende Prestigewert und seine ästhetische Codierung sind
direkt verknüpft mit der Lebensanschauung und Lebensweise der Benutzer.
Die Wiederentdeckung der Moderne auf dem Möbelsektor, die in den 70er Jahren ihren Anfang nahm,
führte dazu, dass der Besitz eines bestimmten Möbels zur Prestigefrage avancierte. Der ‚moderne Klassiker‘
wurde zum Kultobjekt erhoben, dessen Besitz dem Eigentümer kulturinteressierte fortschrittliche Lebens-
weise bescheinigte. Der Begriff ‚moderne Klassiker‘ trägt den Widerspruch zweier Welten in sich.
Zukunftsorientierte Aufbruchsstimmung und etablierte, bourgeoise Wertvorstellungen sind darin vereint.
Das Möbel, das Interieur wurde wieder und im verstärkten Maß als inszenatorisches Mittel einer Lebens-
auffassung begriffen. Die Kritik der Gruppen Memphis und Alchimia an der Moderne richtet sich vor allem
gegen deren Dogmatik und brachte als Gegenstandpunkt Objekte hervor, deren Qualität im spielerischen
Umgang mit Metaphern und nicht in deren Funktionalität liegt. Die als Manifest verstandenen Objekte
bewirkten jedoch in der Folge eine Unzahl von ‚kreativen Möbeln‘. Je nachdem wer diese kreierte,
StardesignerIn, arrivierte/r bildende/r KünstlerIn oder unbekannte Newcomer, erfolgt die Beurteilung des
gesellschaftlichen Stellenwerts. Diese Spielart der Inszenierung eigener Lebenswelten bewegt sich innerhalb
einer kleinen, finanzkräftigen, News-informierten oder tatsächlich interessierten Schicht.
Ein Großteil der Bevölkerung folgt jedoch bei der Auswahl von Produkten des Wohnbedarfs anderen Regeln.
In einzelnen Fällen mag es eine geschickte Werbestrategie sein, die den Konsumenten zum Kauf stimuliert.
Der ‚allgemeine Geschmack‘, so die Hypothese, wird jedoch viel subtiler über das in Filmen und vor allem in
Fernsehfilmserien vorkommende Interieur generiert. Die Filme der 50er hatten entsprechend der Aufbruchs-
stimmung und der Zukunftsorientiertheit oftmals äußerst futuristische Interieurs. Die Filme der 80er und
90er Jahre widerspiegeln den Wunsch einer gesättigten Konsumgesellschaft nach noch mehr Sicherheit und
damit verbunden, die Scheu vor Veränderungen. Analysiert man in Fernsehfilmen vorkommendes Interieur
und vergleicht dies mit dem gängigen Angebot am Möbelmarkt – einen guten Überblick geben hier
heimische Möbelmessen –, so liegt der Verdacht nahe, dass die Inszenierung der eigenen Lebenswelt bei
einem Großteil der Bevölkerung nach projizierten Wunschvorstellungen via Bildschirm erfolgt.
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Buch AMM ArchitektInnen machen Möbel"
AMM ArchitektInnen machen Möbel
- Titel
- AMM ArchitektInnen machen Möbel
- Autor
- Judith Augustinovic
- Verlag
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-681-9
- Abmessungen
- 14.8 x 25.0 cm
- Seiten
- 104
- Schlagwörter
- Architektur, Möbel, Sessel, Tische, Stühle, Holz, Nachhaltigkeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Geleitwort | Irmgard Frank 7
- amm ist gestalterische Haltung und Bekenntnis zu Qualität | Judith Augustinovic 8
- Lilli Hollein 11
- Eva Guttmann 12
- Eberhard Schrempf 13
- Gebhart Blazek 14
- Marion Kuzmany 15
- Thomas Benz 16
- Marina Hämmerle 17
- Ursula Diefenbach und Christoph Adametz 19
- Die Wahrnehmung Möbel | Irmgard Frank 20
- Entwurf und Werkstück 27
- ‚Der Baum wächst nach oben.‘ 31
- Wintersemester 2018|19 . Anna-Lülja Praun Möbelwettbewerb 32
- Eugen Gross 33
- Antje Senarclens de Grancy 34
- Markus Bogensberger 35
- KARLI und Eugen Gross 37
- amm Möbel 38
- Austrian Interior Design Award 2018 57
- Präsentationen – Ausstellungen – Messen 58
- Positionen der Studierenden 64
- An den Hobelbänken 68
- Sommersemester 2019 . Handwerk trifft Design 72
- Paul Streit 76
- Margret Rausch 78
- Johannes Wohofsky 79
- TeilnehmerInnen seit 2017 91
- Chronologie 101
- Impressum 102