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‚Der Baum wächst nach oben.‘
Jeder einzelne Bauteil eines Sessels oder Hockers, Bank oder Tisches wird genauestens überprüft.
Maserung und Farbunterschiede von Kern- und Splintholz müssen ein stimmiges Gesamtbild ergeben.
‚Der Baum wächst nach oben.‘ Mit diesen einfachen Satz erklärt Rainer Eberl diesen zeitaufwendigen,
anspruchsvollen Prozess in der Herstellungsphase eines Werkstückes. Ein Qualitätsanspruch, der jedoch
sofort sichtbar wird, wenn das Möbel aus Holz schließlich vor einem steht. Ja, dieser Baum wuchs nach
oben, nicke ich zustimmend und erfreue mich an dem Zwetschkenholzgestell, das stilvollst vor mir steht
und demnächst durch eine Lederbespannung noch weiter veredelt wird.
Rainer Eberl ist ein Meister, der sein Tischlerhandwerk nicht nur perfekt beherrscht, sondern mit Leidenschaft
und unglaublichen Gefühl sowie akademischen Wissen bereichert. Hier lernen die Studierenden eben nicht
nur die hard facts für Möbeldesign, sondern erfahren hautnah, wie das Verhältnis von EntwerferIn und
ProfessionistIn im idealen Fall sein sollte. Gleichberechtigt, denn das ermöglicht eine willige Ausreizung des
Wissens und der Erfahrung von beiden Seiten und damit optimierte Lösungen.
Wenn Rainer Eberl Hand anlegt trifft genau das zu was Tim Ingold als ‚Eine Ökologie der Materialien‘
beschreibt: ‚Denn zum einen ist die Form nicht festgelegt, sondern variiert auf unterschiedlichste Weise,
und zum anderen ist kein Material, mit dem irgendjemand jemals arbeitet, homogen. Eines der Beispiele,
das sie verwenden und das seinerseits durch (Lamb) Max‘ hölzernen Hocker exemplifiziert wird, ist das
Spalten von Holz. Wenn man eine Axt nimmt (oder im Falle von Grünholztechnik einen Keil) um einen Klotz
zu spalten, zwingt man dem Klotz keine Form auf, sondern man versucht, die Maserung zu finden und dann
werden die Axt oder der Keil ihr folgen. Die Linie, der sie folgen, ist eine, die bereits in das Holz hinein-
wuchs, als es noch Teil eines lebenden Baumes war und damit seines Wachstumsprozesses. Das Material,
mit dem man arbeitet, ist daher weder formlos noch homogen. Es hat bereits Wachstumslinien, es hat eine
Maserung, und der Macher ist nicht jemand, der dem Material seine Form aufzwingt, sondern jemand, der
die Maserung findet und sie dann einem sich entwickelnden Zweck anpasst. Ich denke, genau darum geht es
beim Machen; es geht nicht darum, dem Material eine Form aufzuzwingen, sondern die Maserung des Weges
der Welt-Werdung zu entdecken und ihn dann in diese oder jene Richtung zu lenken, damit er mit dem
übereinstimmt, was deine eigene sich entwickelnde Absicht als Designer oder Macher sein könnte. Deleuze
und Guattari argumentieren daher, und ich stimme ihnen darin zu, dass der Kunsthandwerker, der Macher
oder der Handwerker eine Person ist, die dem Material folgt, die dem Weg nachgeht, den es beschreitet. Und
indem sie ihm folgen, werden sie von einer ‚Intuition in Aktion‘ geleitet.‘*
Judith Augustinovic
*In: Macht des Materials|Politik | Hg. Susanna Witzgall und Kerstin Stakemeier, diaphanes, Zürich-Berlin 2014, S.69
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Buch AMM ArchitektInnen machen Möbel"
AMM ArchitektInnen machen Möbel
- Titel
- AMM ArchitektInnen machen Möbel
- Autor
- Judith Augustinovic
- Verlag
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-681-9
- Abmessungen
- 14.8 x 25.0 cm
- Seiten
- 104
- Schlagwörter
- Architektur, Möbel, Sessel, Tische, Stühle, Holz, Nachhaltigkeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Geleitwort | Irmgard Frank 7
- amm ist gestalterische Haltung und Bekenntnis zu Qualität | Judith Augustinovic 8
- Lilli Hollein 11
- Eva Guttmann 12
- Eberhard Schrempf 13
- Gebhart Blazek 14
- Marion Kuzmany 15
- Thomas Benz 16
- Marina Hämmerle 17
- Ursula Diefenbach und Christoph Adametz 19
- Die Wahrnehmung Möbel | Irmgard Frank 20
- Entwurf und Werkstück 27
- ‚Der Baum wächst nach oben.‘ 31
- Wintersemester 2018|19 . Anna-Lülja Praun Möbelwettbewerb 32
- Eugen Gross 33
- Antje Senarclens de Grancy 34
- Markus Bogensberger 35
- KARLI und Eugen Gross 37
- amm Möbel 38
- Austrian Interior Design Award 2018 57
- Präsentationen – Ausstellungen – Messen 58
- Positionen der Studierenden 64
- An den Hobelbänken 68
- Sommersemester 2019 . Handwerk trifft Design 72
- Paul Streit 76
- Margret Rausch 78
- Johannes Wohofsky 79
- TeilnehmerInnen seit 2017 91
- Chronologie 101
- Impressum 102