Seite - 121 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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Einfahrt
Frühmorgens warten schon alle Passagiere ungeduldig an Bord, mit
Ferngläsern und Kameras bewaffnet; keiner will, sooft er sie auch schon
bewundernd gesehen, die berühmte Einfahrt in Rio de Janeiro versäumen.
Aber noch glänzt das Meer blau und metallen wie seit Tagen und Tagen,
beruhigende und zugleich ermüdende Monotonie. Und doch, man fühlt es,
daß man sich dem Lande nähert, man atmet die nahe Erde, noch ehe man sie
sieht, denn feucht und süß wird mit einem Mal die Luft, weicher fühlt man sie
an Mund und Händen, ein dunkler Duft schwebt unmerklich her, gebraut in
den Tiefen der riesigen Wälder aus Pflanzenatem und Feuchte der Kelche,
jener unbeschreibbare, warme, schwüle und gärende Brodem der Tropen, der
auf süße Art einen trunken und müde zugleich macht.
Jetzt endlich in der Ferne ein Umriß: eine Bergkette zeichnet sich unsicher-
wolkenhaft in den leeren Himmel hinein, und in dem Maße als das Schiff
näher stampft, festigen sich ihre Konturen: es ist die Bergkette, die mit
ausgespannten Armen die Bucht von Guanabara beschirmt, eine der größten
der Erde. Alle Schiffe aller Nationen fänden darin gleichzeitig Raum, so weit
und schwunghaft wölbt sie sich mit ihren vielen einzelnen Baien und
Vorgebirgen aus, und innerhalb dieser aufgebrochenen Riesenmuschel liegen
wie Perlen verstreut eine Unzahl Inseln, jede anders in Form und Farbe.
Manche tauchen nur grau und gleichtönig aus der amethystenen See; für
Walfische könnte man sie aus der Ferne halten, so nackt und kahl ist ihr
Rücken. Manche wieder sind länglich und steinig gerippt wie Krokodile,
manche mit Häusern bestanden, manche als Festungen bewehrt, manche
scheinen schwimmende Gärten mit Palmen und Gartengeländen, und während
man neugierig ihre unvermutete Vielfalt der Formen mit dem Fernglas
bewundert, treten nun gleichzeitig die Berge des Hintergrundes plastisch
hervor, auch sie jeder anders und eigenwillig. Nackt steht der eine und der
andere ins grüne Palmenkleid gehüllt, felsig dieser und der andere einen
schimmernden Gürtel von Häusern und Gärten umgelegt; es ist, als hätte die
Natur als verwegene Plastikerin alle irdischen Formen nebeneinanderzustellen
versucht, und irdische Namen hat darum auch die Volksphantasie jeder
einzelnen dieser bergigen Steingestalten gegeben: die Witwe, der Bucklige,
der Hund, der Finger Gottes, der schlafende Riese, die beiden Brüder, und
dem allersichtbarsten, dem Pão de Açúcar, den Namen Zuckerhut, der, knapp
vor der Stadt aufsteigend, mit seiner steilen Plötzlichkeit vor dem Eingang
steht wie die Freiheitsstatue in New York, als das uralte und unverrückbare
Symbol dieser Stadt. Aber noch über allen diesen einzelnen Monolithen und
Bergen erhebt sich der Häuptling dieses Riesengeschlechts, der Corcovado,
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197