Seite - 190 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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Besuch bei Zucker, Tabak und Kakao
Ich hatte in São Paulo dem Kaffee meinen Besuch abgestattet, dem einstigen
Potentaten des Landes, so wollte ich auch seine Geschwister sehen, die diese
Erde reich, fruchtbar und berühmt gemacht. Solche hohe Herren kommen
einem nicht entgegen. Man muß sich die Mühe machen, stundenlang zu ihren
Residenzen zu reisen. Aber diese Mühe wird in sich selbst belohnt. Denn der
Weg nach Cachoeira, der mitten durch die herrlich fruchtbare Zone um Bahia
führt, ist eine einzige Folge schöner Blicke. Da sind die Palmenwälder zuerst,
so dicht und so dunkel, so weit und so mächtig, wie ich bisher keine gesehen;
man kennt Palmen sonst meist als Einzelgänger, als einsame Wächter über
einer alten Hütte, als Hüter in einem vornehmen Park, als Spalier auf
südlichen Boulevards. Hier aber waren sie dicht aneinander, Grün in Grün,
Schaft an Schaft wie eine römische Legion, Schild an Schild, und diese
üppige Masse gab nur die erste Ahnung von der Sattheit und Fruchtbarkeit
der Gegend von Bahia. Dann wieder vorbei an langen Flächen, wo Mandioca
gepflanzt wird, die Hauptnahrung des Landes, dieses wohlschmeckende und
nahrhafte Wurzelmehl, das der Urbevölkerung war, was den Chinesen der
Reis, und noch heute mit den Bananen und der Brotfrucht das freigebigste
Geschenk der Natur an jeden Armen ist.
Allmählich nehmen die Felder andere Formen an. Wie Bambus schießen
aufrecht Schäfte im Grün empor, immer in gleicher Höhe und rechts und links
die gleichen Sträucher. Masse macht immer monoton, und so ist ein
Zuckerfeld ebenso langweilig zu sehen wie ein Kaffee- oder ein Teefeld in
seinem einförmigen, von keinem Farbton unterbrochenen Grün. Nein, er
scheint kein amüsanter Gastgeber, der Zucker, er hat nichts zu bieten und
nichts zu zeigen. Aber da plötzlich an einer Wegwende begegnet man einem
Gespann, und im ersten Augenblick frage ich mich: ist das einer jener alten
Farbstiche aus dem Museum oder Wirklichkeit? Denn es ist absolut das
Gespann von anno 1600, der Wagen plump und statt der durchbrochenen
Räder – wie in Pompeji, wie vor zweitausend Jahren – noch die runde
Radscheibe. Und die sechs Ochsen, die ihn ziehen, haben noch denselben
Ring durch die Nase für den Zügel wie auf den ägyptischen Wandbildern, und
der Neger, der ihn führt, trägt denselben bunten Kattunrock wie in der
Sklavenzeit, und genau so werden die Stengel in die Mühle geführt wie in den
Zeiten der Kolonisation; vielleicht ist es noch dieselbe, obwohl einige
Schornsteine am Rand des Horizonts modernere Raffinierung anzudeuten
scheinen. Aber wie fühlt man verwundert (und wohltätig belehrt), einen wie
schmalen Streif des Landes erst in Brasilien das Maschinelle und Neuzeitliche
erfaßt, wieviel noch hier alter Brauch ist, alte Formen, alte Methoden – mag
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197