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Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski
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einer Bewegung, einer Geste. Nichts entging ihm. Und diese Scharfsichtigkeit wurde noch gesteigert durch eine ganz merkwürdige Brechung des Blicks, die den Gegenstand nicht wie ein Spiegel in seiner natürlichen Proportion wiedergab, sondern wie ein Hohlspiegel ins Charakteristische übertrieb. Dickens unterstreicht immer die Merkzeichen seiner Menschen, er dreht sie aus dem Objektiven hinüber ins Gesteigerte, ins Karikaturistische. Er macht sie intensiver, erhebt sie zum Symbol. Der wohlbeleibte Pickwick wird auch seelisch zur Rundlichkeit, der dünne Jingle zur Dürre, der Böse zum Satanas, der Gute die leibhaftige Vollendung. Dickens übertreibt wie jeder große Künstler, aber nicht ins Grandiose, sondern ins Humoristische. Die ganze, so unsäglich ergötzliche Wirkung seiner Darstellung entwuchs nicht so sehr seiner Laune, nicht seinem Übermut, sondern sie saß schon in dieser merkwürdigen Winkelstellung des Auges, das mit seiner Überschärfe alle Erscheinungen irgendwie ins Wunderliche und Karikaturistische übertrieben auf das Leben zurückspiegelte. Tatsächlich: in dieser eigenartigen Optik – und nicht in seiner ein wenig zu bürgerlichen Seele – steckt Dickens’ Genie. Dickens war eigentlich nie Psychologe, einer, der magisch die Seele des Menschen erfaßt, aus ihrem hellen oder dunklen Samen in geheimnisvollem Wachstum sich die Dinge in ihren Farben und Formen entfalten ließ. Seine Psychologie beginnt beim Sichtbaren, er charakterisiert durch Äußerlichkeiten, allerdings durch jene letzten und feinsten, die eben nur einem dichterisch scharfen Auge sichtbar sind. Wie die englischen Philosophen, beginnt er nicht mit Voraussetzungen, sondern mit Merkmalen. Die unscheinbarsten, ganz materiellen Äußerungen des Seelischen fängt er ein und macht an ihnen durch seine merkwürdig karikaturistische Optik den ganzen Charakter augenfällig. Aus Merkmalen läßt er die Spezies erkennen. Dem Schullehrer Creakle gibt er eine leise Stimme, die mühsam das Wort gewinnt. Und schon ahnt man das Grauen der Kinder vor diesem Menschen, dem die Anstrengung des Sprechens die Zornader über die Stirne schwellen läßt. Sein Uriah Heep hat immer kalte, feuchte Hände: schon atmet die Gestalt Mißbehagen, schlangenhafte Widrigkeiten. Kleinigkeiten sind das, Äußerlichkeiten, aber immer solche, die auf das Seelische wirken. Manchmal ist es eigentlich nur eine lebendige Schrulle, die er darstellt; eine Schrulle, die mit einem Menschen umwickelt ist und ihn wie eine Puppe mechanisch bewegt. Manchmal wieder charakterisiert er den Menschen durch seinen Begleiter – was wäre Pickwick ohne Sam Weller, Dora ohne Jip, Barnaby ohne den Raben, Kit ohne das Pony! – und zeichnet die Eigentümlichkeit der Figur gar nicht an dem Modell selbst, sondern am grotesken Schatten. Seine Charaktere sind eigentlich immer nur eine Summe von Merkmalen, aber von so scharfgeschnittenen, daß sie restlos ineinander passen und ein Bild vortrefflich in Mosaik zusammensetzen. Und 41
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Drei Meister Balzac - Dickens - Dostojewski
Titel
Drei Meister
Untertitel
Balzac - Dickens - Dostojewski
Autor
Stefan Zweig
Datum
1920
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
134
Schlagwörter
Literatur, Schriftsteller
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Romain Rolland als Dank für seine unerschütterliche Freundschaft in lichten und dunklen Jahren 5
  2. Balzac 7
  3. Dickens 29
  4. Dostojewski 50
  5. Einklang 51
  6. Das Antlitz 54
  7. Die Tragödie seines Lebens 56
  8. Sinn seines Schicksals 66
  9. Die Menschen Dostojewskis 77
  10. Realismus und Phantastik 90
  11. Architektur und Leidenschaft 103
  12. Der Überschreiter der Grenzen 113
  13. Die Gottesqual 121
  14. Vita Triumphatrix 131
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