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Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski
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dumpfen Bezirke solcher Zweckmäßigkeiten hob: seinen seligen und fast unirdischen Humor. Diese eine selige, halkyonisch freie Welt, in die der Nebel Englands nicht niederhängt, ist das Land der Kindheit. Die englische Lüge verschneidet die Sinnlichkeit in den Menschen und zwingt den Erwachsenen in ihre Gewalt; die Kinder aber leben noch paradiesisch unbekümmert ihr Fühlen aus, sie sind noch nicht Engländer, sondern nur kleine helle Menschenblüten, in ihre bunte Welt schattet noch nicht der englische Nebelrauch der Hypokrisie. Und hier, wo Dickens frei, unbehindert von seinem englischen Bourgeoisgewissen schalten durfte, hat er Unsterbliches geleistet. Die Jahre der Kindheit in seinen Romanen sind einzig schön; nie werden, glaube ich, in der Weltliteratur diese Gestalten vergehen, diese heiteren und ernsten Episoden der Frühzeit. Wer wird je die Odyssee der kleinen Nell vergessen können, wie sie mit ihrem greisen Großvater aus dem Rauch und Düster der großen Städte hinauszieht ins erwachende Grün der Felder, harmlos und sanft, dies engelhafte Lächeln selig über alle Fährlichkeiten und Gefahren hinrettend bis ins Verscheiden. Das ist rührend in einem Sinne, der über alle Sentimentalität hinausreicht zum echtesten, lebendigsten Menschengefühl. Da ist Traddles, der fette Junge in seinen geblähten Pumphosen, der den Schmerz über die erhaltenen Prügel im Zeichnen von Skeletten vergißt, Kit, der Treueste der Treuen, der kleine Nickelby und dann dieser eine, der immer wiederkehrt, dieser hübsche, „sehr kleine und nicht eben zu freundlich behandelte Junge“, der niemand anderes ist als Charles Dickens, der Dichter, der seine eigene Kinderlust, sein eigenes Kinderleid wie kein zweiter unsterblich gemacht hat. Immer und immer wieder hat er von diesem gedemütigten, verlassenen, verschreckten, träumerischen Knaben erzählt, den die Eltern verwaisen ließen; und hier ist sein Pathos wirklich tränennah geworden, seine sonore Stimme voll und tönend wie Glockenklang. Unvergeßlich ist dieser Kinderreigen in Dickens’ Romanen. Hier durchdringt sich Lachen und Weinen, Erhabenes und Lächerliches zu einem einzigen Regenbogenglanz; das Sentimentale und das Sublime, das Tragische und das Komische, Wahrheit und Dichtung versöhnen sich in ein Neues und Nochniedagewesenes. Hier überwindet er das Englische, das Irdische, hier ist Dickens ohne Einschränkung groß und unvergleichlich. Wollte man ihm ein Denkmal setzen, so müßte marmorn dieser Kinderreigen seine eherne Gestalt umringen als den Beschützer, den Vater und Bruder. Denn sie hat er wahrhaft als die reinste Form menschlichen Wesens geliebt. Wollte er Menschen sympathisch machen, so ließ er sie kindlich sein. Um der Kinder willen hat er die sogar geliebt, die schon nicht mehr kindlich, sondern kindisch waren, die Schwachsinnigen und Geistesgestörten. In allen seinen Romanen ist einer dieser sanften Irren, deren arme verlorene Sinne weit oben wie weiße Vögel 45
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Drei Meister Balzac - Dickens - Dostojewski
Titel
Drei Meister
Untertitel
Balzac - Dickens - Dostojewski
Autor
Stefan Zweig
Datum
1920
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
134
Schlagwörter
Literatur, Schriftsteller
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Romain Rolland als Dank für seine unerschütterliche Freundschaft in lichten und dunklen Jahren 5
  2. Balzac 7
  3. Dickens 29
  4. Dostojewski 50
  5. Einklang 51
  6. Das Antlitz 54
  7. Die Tragödie seines Lebens 56
  8. Sinn seines Schicksals 66
  9. Die Menschen Dostojewskis 77
  10. Realismus und Phantastik 90
  11. Architektur und Leidenschaft 103
  12. Der Überschreiter der Grenzen 113
  13. Die Gottesqual 121
  14. Vita Triumphatrix 131
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