Seite - 68 - in Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski
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Zuchthaus kommt, Dostojewski beginnt erst, Wilde verbrennt zur wertlosen
Schlacke in gleicher Glut, die Dostojewski zu funkelnder Härte formt. Wilde
wird gezüchtigt wie ein Knecht, weil er sich wehrt, Dostojewski triumphiert
über sein Schicksal durch Liebe zu seinem Schicksal.
Solch ein Umwandler seiner Heimsuchungen ist Dostojewski, solch ein
Umwerter aller Erniedrigungen, daß nur ein härtestes Schicksal ihm gemäß
war. Denn gerade aus den äußeren Gefahren seiner Existenz hat er die
höchsten inneren Sicherheiten gewonnen, seine Qualen werden ihm Gewinn,
seine Laster Steigerungen, seine Hemmungen Auftriebe. Sibirien, die
Katorga, die Epilepsie, die Armut, die Spielwut, die Wollüstigkeit, all diese
Krisen seiner Existenz werden durch eine dämonische Umwertungskraft
fruchtbar in seiner Kunst, denn wie die Menschen ihre kostbarsten Metalle
aus den schwärzesten Tiefen der Bergwerke, zwischen den Gefahren
schlagender Wetter, tief unter der spaziergängerischen Fläche des gesicherten
Lebens, so gewinnt der Künstler seine flammendsten Wahrheiten, seine
letzten Erkenntnisse immer nur aus den gefährlichsten Abgründen seiner
Natur. Künstlerisch gesehen eine Tragödie, ist das Leben Dostojewskis
moralisch eine Errungenschaft ohnegleichen, weil Triumph des Menschen
über sein Schicksal, eine Umwertung der äußeren Existenz durch die innere
Magie.
Ohne Beispiel vor allem der Triumph geistiger Lebenskraft über einen
siechen, gebrestigen Körper. Vergessen wir nicht, daß Dostojewski ein
Kranker war, daß dieses eherne unvergängliche Werk aus geborstenen
hinfälligen Gliedern, aus zuckenden und glühend flackernden Nerven
gewonnen ist. Mitten durch seinen Körper war gefährlichstes Leiden gepfählt,
ewig gegenwärtiges grauenhaftes Sinnbild des Todes: die Fallsucht.
Dostojewski war Epileptiker die ganzen dreißig Jahre seiner Künstlerschaft.
Mitten im Werk, auf der Straße, im Gespräch, selbst im Schlaf krallt sich
plötzlich die Hand des „würgenden Dämons“ um seine Kehle und schmettert
ihn so jäh, Schaum vor dem Munde, zu Boden, daß der überraschte Körper
sich im Falle blutig schlägt. Das nervöse Kind spürt schon in seltsamen
Halluzinationen, in grauenhaften psychischen Anspannungen das
Wetterleuchten der Gefahr, zum Blitz wird aber „die heilige Krankheit“ erst
im Zuchthaus geschmiedet. Dort preßt sie die ungeheuere Überspannung der
Nerven urmächtig heraus, und wie jedes Unglück, wie Armut und
Entbehrung, bleibt die Körpernot Dostojewski treu bis in die letzte Stunde.
Seltsam aber: niemals lehnt sich der Gemarterte mit einem Wort gegen die
Prüfung auf. Nie klagt er über sein Gebrechen wie Beethoven über seine
Taubheit, Byron über seinen verkürzten Fuß, Rousseau über sein
Blasenleiden, ja nirgends ist bezeugt, daß er jemals ernstlich dagegen Heilung
gesucht habe. Getrost darf man das Unwahrscheinliche als gewiß nehmen,
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Drei Meister
Balzac - Dickens - Dostojewski
- Titel
- Drei Meister
- Untertitel
- Balzac - Dickens - Dostojewski
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1920
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 134
- Schlagwörter
- Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Romain Rolland als Dank für seine unerschütterliche Freundschaft in lichten und dunklen Jahren 5
- Balzac 7
- Dickens 29
- Dostojewski 50
- Einklang 51
- Das Antlitz 54
- Die Tragödie seines Lebens 56
- Sinn seines Schicksals 66
- Die Menschen Dostojewskis 77
- Realismus und Phantastik 90
- Architektur und Leidenschaft 103
- Der Überschreiter der Grenzen 113
- Die Gottesqual 121
- Vita Triumphatrix 131