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Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski
Seite - 114 -
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Die erste Grenze, die Dostojewski durchstieß, die erste Ferne, die er uns auftat, war Rußland. Er hat seine Nation für die Welt entdeckt, unser europäisches Bewußtsein erweitert, als erster die Seele des Russen uns als Fragment und als ein Kostbarstes der Weltseele erkennen lassen. Vor ihm bedeutete Rußland für Europa eine Grenze: den Übergang gegen Asien, einen Fleck Landkarte, ein Stück Vergangenheit unserer eigenen barbarischen, überwundenen Kulturkindheit. Er aber zeigte als erster uns die zukünftige Kraft in dieser Öde, seit ihm fühlen wir Rußland als eine Möglichkeit neuer Religiosität, als ein kommendes Wort im großen Gedichte der Menschheit. Er hat das Herz der Welt so reicher gemacht um eine Erkenntnis und um eine Erwartung. Puschkin (der uns ja schlecht zugänglich ist, weil sein poetisches Medium in jeder Übertragung die elektrische Kraft verliert) hat uns nur die russische Aristokratie gezeigt, Tolstoi wiederum den einfachen, patriarchalischen bäurischen Menschen, die Wesen der alten, abgeteilten, abgelebten Welt. Erst er entzündet uns die Seele mit der Verkündung neuer Möglichkeiten, erst er entflammt den Genius dieser neuen Nation und läßt uns fast sehnsüchtig werden, daß dieser glühende Tropfen Weltkindheit und Seelenanfang seines Russenvolkes in die müde, stagnierende Welt des alten Europa einglühe. Und gerade in diesem Kriege haben wir gefühlt, daß wir alles, was wir von Rußland wußten, nur durch ihn wußten und daß er es uns möglich gemacht, dieses Feindesland auch als Bruderland der Seele zu empfinden. Aber tiefer noch und bedeutsamer als diese kulturelle Erweiterung des Weltwissens um die Idee Rußlands (denn diese hätte vielleicht schon Puschkin erreicht, wäre ihm nicht im 37. Jahre die Duellkugel durch die Brust gefahren) ist jene ungeheure Erweiterung unseres seelischen Selbstwissens, die ohne Beispiel ist in der Literatur. Dostojewski ist der Psychologe der Psychologen. Die Tiefe des menschlichen Herzens zieht ihn magisch an, das Unbewußte, das Unterbewußte, das Unergründliche ist seine wahre Welt. Seit Shakespeare haben wir nicht soviel vom Geheimnis des Gefühls und den magischen Gesetzen seiner Verschränkung gelernt, und wie Odysseus, der einzige, der vom Hades wiederkehrte, von der unterirdischen Welt, erzählt er von der Unterwelt der Seele. Denn auch er, wie Odysseus, war begleitet von einem Gotte, von einem Dämon. Seine Krankheit, ihn aufreißend zu Höhen des Gefühls, die der gemeine Sterbliche nicht erreicht, ihn niederschmetternd in Zustände der Angst und des Grauens, die schon jenseits des Lebens liegen, ließen ihn erst atmen in dieser bald frostigen, bald feurigen Atmosphäre des Unbelebten und Überlebendigen. Wie die Nachttiere in der Finsternis sehen, sieht er in den Dämmerzuständen klarer wie andere am lichten Tag. In den feurigen Elementen, wo andere verbrennen, wird ihm erst wahre, wohlige Wärme des Gefühls; er ist weit über die gesunde Seele hinaus gewachsen und 114
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Drei Meister Balzac - Dickens - Dostojewski
Titel
Drei Meister
Untertitel
Balzac - Dickens - Dostojewski
Autor
Stefan Zweig
Datum
1920
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
134
Schlagwörter
Literatur, Schriftsteller
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Romain Rolland als Dank für seine unerschütterliche Freundschaft in lichten und dunklen Jahren 5
  2. Balzac 7
  3. Dickens 29
  4. Dostojewski 50
  5. Einklang 51
  6. Das Antlitz 54
  7. Die Tragödie seines Lebens 56
  8. Sinn seines Schicksals 66
  9. Die Menschen Dostojewskis 77
  10. Realismus und Phantastik 90
  11. Architektur und Leidenschaft 103
  12. Der Überschreiter der Grenzen 113
  13. Die Gottesqual 121
  14. Vita Triumphatrix 131
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