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Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski
Seite - 115 -
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hat in der kranken gehaust und damit im tiefsten Geheimnis des Lebens. Atemnah hat er dem Wahnsinn ins Gesicht geleuchtet, wie ein Mondsüchtiger ist er sicher über die Spitzen des Gefühls geschritten, von denen die Wachenden und Wissenden in Ohnmacht abstürzen. Dostojewski ist tiefer in die Unterwelt des Unbewußten gedrungen als die Ärzte, die Juristen, die Kriminalisten und Psychopathen. Alles was die Wissenschaft erst später entdeckte und benannte, was sie in Experimenten gleichsam wie mit einem Skalpell von toter Erfahrung losschabte, alle die telepathischen, hysterischen, halluzinativen, perversen Phänomene, hat er voraus geschildert aus jener mystischen Fähigkeit des hellseherischen Mitwissens und Mitleidens. Bis an den Rand des Wahnsinns (den Exzeß des Geistes), bis an die Klippe des Verbrechens (den Exzeß des Gefühls) hat er den Phänomenen der Seele nachgespürt und unendliche Strecken seelischen Neulandes damit durchschritten. Eine alte Wissenschaft schlägt mit ihm das letzte Blatt zu in ihrem Buch, Dostojewski beginnt in der Kunst eine neue Psychologie. Eine neue Psychologie: denn auch die Wissenschaft der Seele hat ihre Methoden, auch die Kunst, die vorerst durch die Zeiten eine unendliche Einheit scheint, ewig neue Gesetze. Auch hier gibt es Wandlungen des Wissens, Fortschritte des Erkennens durch immer neue Auflösung und Determinierung, und so wie etwa die Chemie durch Experimente die Anzahl der Urelemente, der anscheinend unteilbaren, immer mehr verringert hat und im scheinbar Einfachen noch die Zusammensetzungen erkennt, so löst die Psychologie durch immer weiter schreitende Differenzierung die Einheit des Gefühls in eine Unendlichkeit von Trieb und Widertrieb auf. Trotz aller vorausschauenden Genialität einiger einzelner Menschen ist eine Grenzlinie zwischen der alten Psychologie und der neuen nicht zu verkennen. Von Homer und weit bis nach Shakespeare gibt es eigentlich nur die Psychologie der Einlinigkeit. Der Mensch ist noch Formel, eine Eigenschaft in Fleisch und Knochen: Odysseus ist listig, Achilles mutig, Ajax zornvoll, Nestor weise … jede Entschließung, jede Tat dieser Menschen liegt klar und offen in der Schußfläche ihres Willens. Und noch Shakespeare, der Dichter an der Wende der alten und der neuen Kunst, zeichnet seine Menschen so, daß immer eine Dominante die widerstreitende Melodik ihres Wesens auffängt. Aber gerade er ist es auch, der den ersten Menschen aus dem seelischen Mittelalter in unsere neuzeitliche Welt voraussendet. In seinem Hamlet erschafft er die erste problematische Natur, den Ahnherrn des modernen differenzierten Menschen. Hier ist zum ersten Male im Sinne der neuen Psychologie der Wille durch Hemmungen gebrochen, der Spiegel der Selbstbetrachtung in die Seele selbst gestellt, der um sich selbst wissende Mensch gestaltet, der zwiefach lebt, außen und innen zugleich, im Handeln denkend, im Denken sich verwirklichend. Hier lebt der Mensch zum erstenmal sein Leben, wie wir es 115
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Drei Meister Balzac - Dickens - Dostojewski
Titel
Drei Meister
Untertitel
Balzac - Dickens - Dostojewski
Autor
Stefan Zweig
Datum
1920
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
134
Schlagwörter
Literatur, Schriftsteller
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Romain Rolland als Dank für seine unerschütterliche Freundschaft in lichten und dunklen Jahren 5
  2. Balzac 7
  3. Dickens 29
  4. Dostojewski 50
  5. Einklang 51
  6. Das Antlitz 54
  7. Die Tragödie seines Lebens 56
  8. Sinn seines Schicksals 66
  9. Die Menschen Dostojewskis 77
  10. Realismus und Phantastik 90
  11. Architektur und Leidenschaft 103
  12. Der Überschreiter der Grenzen 113
  13. Die Gottesqual 121
  14. Vita Triumphatrix 131
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