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Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski
Seite - 116 -
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fühlen, fühlt, wie wir Gegenwärtigen fühlen, freilich noch aus einer Dämmerung des Bewußtseins heraus: noch ist er, der Dänenprinz, umwoben vom Requisit einer abergläubischen Welt, noch wirken Zaubertränke und Geister auf seinen beunruhigten Sinn, statt bloß Wahn und Ahnung. Aber doch, hier ist er schon vollendet, das ungeheuere psychologische Geschehnis der Verzweifachung des Gefühls. Der neue Kontinent der Seele ist entdeckt, die zukünftigen Forscher haben freie Bahn. Der romantische Mensch Byrons, Goethes, Shelleys, Child Harold und Werther, den leidenschaftlichen Widerspruch seines Wesens zur nüchternen Welt im ewigen Gegensatz empfindend, fördert durch seine Unruhe die chemische Zersetzung der Gefühle. Die exakte Wissenschaft gibt inzwischen noch manche wertvolle Einzelerkenntnis. Dann kommt Stendhal. Er weiß schon mehr als alle früheren von der kristallinischen Bildung der Gefühle, der Vieldeutigkeit und Verwandlungsfähigkeit der Empfindungen. Er ahnt den geheimnisvollen Widerstreit der Brust um jeden einzelnen ihrer Entschlüsse. Aber die seelische Trägheit seines Genies, die spaziergängerische Lässigkeit seines Charakters vermögen noch nicht die ganze Dynamik des Unbewußten zu erhellen. Erst Dostojewski, der große Zerstörer der Einheit, der ewige Dualist, dringt ein in das Geheimnis. Er oder keiner schafft die vollkommene Analyse des Gefühls. Bei Dostojewski ist die Einheit des Gefühls in eine Masse zerrissen, als wäre seinen Menschen eine andere Seele eingebaut wie all den früheren. Die kühnsten Seelenanalysen aller Dichter vor ihm scheinen irgendwie oberflächenhaft neben seinen Differenzierungen, sie wirken, wie etwa ein Lehrbuch der Elektrotechnik wirken mag, das 30 Jahre alt ist, in dem eben nur die Anfangsgründe angedeutet und das Wesentliche noch nicht einmal geahnt ist. Nichts ist in seiner Seelensphäre einfaches Gefühl, unteilbares Element – alles Konglomerat, Zwischengangsform, Durchgangsform, Übergangsform. In unendlicher Verkehrung und Verwirrung taumelt und schwankt die Empfindung zur Tat, ein rasender Tausch von Wille und Wahrheit schüttelt die Gefühle durcheinander. Immer meint man, schon am letzten Grunde eines Entschlusses, eines Begehrens angelangt zu sein, und immer wieder deutet es wieder weiter zurück in ein anderes. Haß, Liebe, Wollust, Schwäche, Eitelkeit, Stolz, Herrschgier, Demut, Ehrfurcht, alle Triebe sind ineinander verschlungen in ewigen Verwandlungen. Die Seele ist eine Wirrnis, ein heiliges Chaos in Dostojewskis Werk. Es gibt bei ihm Trunkenbolde aus Sehnsucht nach Reinheit, Verbrecher aus Gier nach der Reue, Mädchenschänder aus Verehrung der Unschuld, Gotteslästerer aus religiösem Bedürfnis. Wenn seine Menschen begehren, tun sie es ebenso aus Hoffnung auf Zurückgestoßensein wie auf Erfüllung. Ihr Trotz, faltet man ihn ganz auf, ist nichts anderes als eine verborgene Scham, ihre Liebe ein verkümmerter 116
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Drei Meister Balzac - Dickens - Dostojewski
Titel
Drei Meister
Untertitel
Balzac - Dickens - Dostojewski
Autor
Stefan Zweig
Datum
1920
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
134
Schlagwörter
Literatur, Schriftsteller
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Romain Rolland als Dank für seine unerschütterliche Freundschaft in lichten und dunklen Jahren 5
  2. Balzac 7
  3. Dickens 29
  4. Dostojewski 50
  5. Einklang 51
  6. Das Antlitz 54
  7. Die Tragödie seines Lebens 56
  8. Sinn seines Schicksals 66
  9. Die Menschen Dostojewskis 77
  10. Realismus und Phantastik 90
  11. Architektur und Leidenschaft 103
  12. Der Überschreiter der Grenzen 113
  13. Die Gottesqual 121
  14. Vita Triumphatrix 131
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