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Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski
Seite - 119 -
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Blumenhainen Titurels. Das Phänomen der Doppelliebe, eines der kompliziertesten bei anderen Dichtern, ist ein alltägliches, ein selbstverständliches bei Dostojewski. Nastassja Philipowna liebt in ihrem spirituellen Wesen Myschkin, den sanften Engel, und liebt gleichzeitig mit geschlechtlicher Leidenschaft Rogoschin, seinen Feind. Vor der Kirchentür reißt sie sich von dem Fürsten los in das Bett des anderen, vom Gelage des Trunkenen stürzt sie zurück zu ihrem Heiland. Ihr Geist steht gleichsam oben und sieht erschreckt zu, was unten ihr Körper treibt, ihr Körper schläft gleichsam im hypnotischen Schlaf, während ihre Seele sich in Ekstase dem anderen zuwendet. Und ebenso Gruschenka, sie liebt gleichzeitig und haßt ihren ersten Verführer, liebt in Leidenschaft ihren Dimitri und mit ihrer Verehrung schon ganz unkörperlich Aljoscha. Die Mutter des „Jünglings“ liebt aus Dankbarkeit ihren ersten Mann und gleichzeitig aus Sklaverei, aus übersteigerter Demut Wersiloff. Unendlich, unermeßlich sind die Verwandlungen des Begriffes, den die anderen Psychologen unter dem Namen „Liebe“ leichtfertig zusammenfaßten, so wie Ärzte vergangener Zeiten ganze Gruppen von Krankheiten in einen Namen drängten, für die wir heute hundert Namen und hundert Methoden haben. Liebe kann bei Dostojewski verwandelter Haß sein (Alexandra), Mitleid (Dunia), Trotz (Rogoschin), Sinnlichkeit (Fedor Karamasoff), Selbstvergewaltigung, immer aber steht hinter der Liebe noch ein anderes Gefühl, ein Urgefühl. Nie ist Liebe bei ihm elementar, unteilbar, unerklärbar, Urphänomen, Wunder: immer erklärt, zerlegt er das leidenschaftlichste Gefühl. O, unendlich, unendlich diese Verwandlungen, und jede einzelne wieder in allen Farben schillernd, von Kälte zu Frost erstarrend und wieder erglühend, unendlich und undurchdringlich wie die Vielfalt des Lebens. Ich will nur erinnern an Katerina Iwanowna. Sie sieht Dimitri auf einem Ball, er läßt sich ihr vorstellen, er beleidigt sie, und sie haßt ihn. Er nimmt Rache, er erniedrigt sie, – und sie liebt ihn, oder eigentlich sie liebt nicht ihn, sondern die Erniedrigung, die er ihr zugefügt. Sie opfert sich ihm auf und meint ihn zu lieben, aber sie liebt nur ihre eigene Aufopferung, liebt ihre eigene Pose der Liebe, und je mehr sie ihn so zu lieben scheint, um so mehr haßt sie ihn wieder. Und dieser Haß fährt los auf sein Leben und zerstört es, und in dem Augenblick, wo sie es zerstört hat, wo gleichsam ihre Aufopferung sich als Lüge offenbart, ihre Erniedrigung gerächt ist, – liebt sie ihn wieder! So kompliziert ist bei Dostojewski ein Liebesverhältnis. Wie es vergleichen mit den Büchern, die schon bei der letzten Seite sind, wenn die beiden einander lieben und durch alle Fährnisse des Lebens sich gefunden haben? Wo die anderen enden, beginnen erst die Tragödien Dostojewskis, denn er will nicht Liebe, nicht laue Aussöhnung der Geschlechter als Sinn und Triumph der Welt. Er knüpft wieder an die große Tradition der Antike an, wo nicht ein Weib zu erringen, sondern die Welt und alle Götter zu bestehen, Sinn und 119
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Drei Meister Balzac - Dickens - Dostojewski
Titel
Drei Meister
Untertitel
Balzac - Dickens - Dostojewski
Autor
Stefan Zweig
Datum
1920
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
134
Schlagwörter
Literatur, Schriftsteller
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Romain Rolland als Dank für seine unerschütterliche Freundschaft in lichten und dunklen Jahren 5
  2. Balzac 7
  3. Dickens 29
  4. Dostojewski 50
  5. Einklang 51
  6. Das Antlitz 54
  7. Die Tragödie seines Lebens 56
  8. Sinn seines Schicksals 66
  9. Die Menschen Dostojewskis 77
  10. Realismus und Phantastik 90
  11. Architektur und Leidenschaft 103
  12. Der Überschreiter der Grenzen 113
  13. Die Gottesqual 121
  14. Vita Triumphatrix 131
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