Page - 6 - in Amerika
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ist der Obermaschinist ein Rumäne? Er heißt Schubal. Das ist doch nicht zu
glauben. Und dieser Lumpenhund schindet uns Deutsche auf einem deutschen
Schiff! Glauben Sie nicht« – ihm ging die Luft aus, er fackelte mit der
Hand –, »daß ich klage, um zu klagen. Ich weiß, daß Sie keinen Einfluß
haben und selbst ein armes Bürschchen sind. Aber es ist zu arg!« Und er
schlug auf den Tisch mehrmals mit der Faust und ließ kein Auge von ihr,
während er schlug. »Ich habe doch schon auf so vielen Schiffen gedient« –
und er nannte zwanzig Namen hintereinander, als sei es ein Wort, Karl wurde
ganz wirr – »und habe mich ausgezeichnet, bin belobt worden, war ein
Arbeiter nach dem Geschmack meiner Kapitäne, sogar auf dem gleichen
Handelssegler war ich einige Jahre« – er erhob sich, als sei das der
Höchstpunkt seines Lebens – »und hier auf diesem Kasten, wo alles nach der
Schnur eingerichtet ist, wo kein Witz gefordert wird, hier taug ich nichts, hier
stehe ich dem Schubal immer im Wege, bin ein Faulpelz, verdiene
hinausgeworfen zu werden und bekomme meinen Lohn aus Gnade. Verstehen
Sie das? Ich nicht.« »Das dürfen Sie sich nicht gefallen lassen«, sagte Karl
aufgeregt. Er hatte fast das Gefühl davon verloren, daß er auf dem unsicheren
Boden eines Schiffes, an der Küste eines unbekannten Erdteils war, so
heimisch war ihm hier auf dem Bett des Heizers zumute. »Waren Sie schon
beim Kapitän? Haben Sie schon bei ihm Ihr Recht gesucht?« »Ach gehen Sie,
gehen Sie lieber weg. Ich will Sie nicht hier haben. Sie hören nicht zu, was
ich sage, und geben mir Ratschläge. Wie soll ich denn zum Kapitän gehen!«
Und müde setzte sich der Heizer wieder und legte das Gesicht in beide
Hände.
›Einen besseren Rat kann ich ihm nicht geben‹, sagte sich Karl. Und er
fand überhaupt, daß er lieber seinen Koffer hätte holen sollen, statt hier
Ratschläge zu geben, die doch nur für dumm gehalten wurden. Als ihm der
Vater den Koffer für immer übergeben hatte, hatte er im Scherz gefragt: »Wie
lange wirst du ihn haben?« und jetzt war dieser treue Koffer vielleicht schon
im Ernst verloren. Der einzige Trost war noch, daß der Vater von seiner
jetzigen Lage kaum erfahren konnte, selbst wenn er nachforschen sollte. Nur
daß er bis New York mitgekommen war, konnte die Schiffsgesellschaft gerade
noch sagen. Leid tat es aber Karl, daß er die Sachen im Koffer noch kaum
verwendet hatte, trotzdem er es beispielsweise längst nötig gehabt hätte, das
Hemd zu wechseln. Da hatte er also am unrichtigen Ort gespart; jetzt, wo er
es gerade am Beginn seiner Laufbahn nötig haben würde, rein gekleidet
aufzutreten, würde er im schmutzigen Hemd erscheinen müssen. Sonst wäre
der Verlust des Koffers nicht gar so arg gewesen, denn der Anzug, den er
anhatte, war sogar besser als jener im Koffer, der eigentlich nur ein Notanzug
war, den die Mutter noch knapp vor der Abreise hatte flicken müssen. Jetzt
erinnerte er sich auch, daß im Koffer noch ein Stück Veroneser Salami war,
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik