Page - 7 - in Amerika
Image of the Page - 7 -
Text of the Page - 7 -
die ihm die Mutter als Extragabe eingepackt hatte, von der er jedoch nur den
kleinsten Teil hatte aufessen können, da er während der Fahrt ganz ohne
Appetit gewesen war und die Suppe, die im Zwischendeck zur Verteilung
kam, ihm reichlich genügt hatte. Jetzt hätte er aber die Wurst gern bei der
Hand gehabt, um sie dem Heizer zu verehren. Denn solche Leute sind leicht
gewonnen, wenn man ihnen irgendeine Kleinigkeit zusteckt, das wußte Karl
von seinem Vater her, welcher durch Zigarrenverteilung alle die niedrigen
Angestellten gewann, mit denen er geschäftlich zu tun hatte. Jetzt besaß Karl
an Verschenkbarem nur noch sein Geld, und das wollte er, wenn er schon
vielleicht den Koffer verloren haben sollte, vorläufig nicht anrühren. Wieder
kehrten seine Gedanken zum Koffer zurück, und er konnte jetzt wirklich nicht
einsehen, warum er den Koffer während der Fahrt so aufmerksam bewacht
hatte, daß ihm die Wache fast den Schlaf gekostet hatte, wenn er jetzt diesen
gleichen Koffer so leicht sich hatte wegnehmen lassen. Er erinnerte sich an
die fünf Nächte, während derer er einen kleinen Slowaken, der zwei
Schlafstellen links von ihm gelegen war, unausgesetzt im Verdacht gehabt
hatte, daß er es auf seinen Koffer abgesehen habe. Dieser Slowake hatte nur
darauf gelauert, daß Karl endlich, von Schwäche befallen, für einen
Augenblick einnickte, damit er den Koffer mit einer langen Stange, mit der er
immer während des Tages spielte oder übte, zu sich hinüberziehen könne. Bei
Tage sah dieser Slowake unschuldig genug aus, aber kaum war die Nacht
gekommen, erhob er sich von Zeit zu Zeit von seinem Lager und sah traurig
zu Karls Koffer hinüber. Karl konnte dies ganz deutlich erkennen, denn
immer hatte hie und da jemand mit der Unruhe des Auswanderers ein
Lichtchen angezündet, trotzdem dies nach der Schiffsordnung verboten war,
und versuchte, unverständliche Prospekte der Auswanderungsagenturen zu
entziffern. War ein solches Licht in der Nähe, dann konnte Karl ein wenig
eindämmern, war es aber in der Ferne oder war dunkel, dann mußte er die
Augen offenhalten. Diese Anstrengung hatte ihn recht erschöpft, und nun war
sie vielleicht ganz nutzlos gewesen. Dieser Butterbaum, wenn er ihn einmal
irgendwo treffen sollte!
In diesem Augenblick ertönten draußen in weiter Ferne in die bisherige
vollkommene Ruhe hinein kleine kurze Schläge, wie von Kinderfüßen, sie
kamen näher mit verstärktem Klang, und nun war es ein ruhiger Marsch von
Männern. Sie gingen offenbar, wie es in dem schmalen Gang natürlich war, in
einer Reihe, man hörte Klirren wie von Waffen. Karl, der schon nahe daran
gewesen war, sich im Bett zu einem von allen Sorgen um Koffer und
Slowaken befreiten Schlafe auszustrecken, schreckte auf und stieß den Heizer
an, um ihn endlich aufmerksam zu machen, denn der Zug schien mit seiner
Spitze die Tür gerade erreicht zu haben. »Das ist die Schiffskapelle,« sagte
der Heizer, »die haben oben gespielt und gehen jetzt einpacken. Jetzt ist alles
7
back to the
book Amerika"
Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik