Page - 18 - in Amerika
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Rührung, manche undurchdringlich. »So lächerlich war das, was ich gesagt
habe, doch keineswegs« dachte Karl.
»Meine Herren«, wiederholte der Senator, »Sie nehmen gegen meinen und
gegen Ihren Willen an einer kleinen Familienszene teil, und ich kann deshalb
nicht umhin, Ihnen eine Erläuterung zu geben, da, wie ich glaube, nur der
Herr Kapitän« – diese Erwähnung hatte eine gegenseitige Verbeugung zur
Folge – »vollständig unterrichtet ist.«
›Jetzt muß ich aber wirklich auf jedes Wort achtgeben‹, sagte sich Karl und
freute sich, als er bei einem Seitwärtsschauen bemerkte, daß in die Figur des
Heizers das Leben zurĂĽckzukehren begann.
»Ich lebe seit allen den langen Jahren meines amerikanischen Aufenthaltes
– das Wort Aufenthalt paßt hier allerdings schlecht für den amerikanischen
Bürger, der ich mit ganzer Seele bin –, seit allen den langen Jahren lebe ich
also von meinen europäischen Verwandten vollständig getrennt, aus Gründen,
die erstens nicht hierhergehören und die zweitens zu erzählen mich wirklich
zu sehr hernehmen wĂĽrde. Ich fĂĽrchte mich sogar vor dem Augenblick, wo
ich vielleicht gezwungen sein werde, sie meinem lieben Neffen zu erzählen,
wobei sich leider ein offenes Wort ĂĽber seine Eltern und ihren Anhang nicht
vermeiden lassen wird.«
›Er ist mein Onkel, kein Zweifel‹, sagte sich Karl und lauschte,
›wahrscheinlich hat er seinen Namen ändern lassen.‹
»Mein lieber Neffe ist nun von seinen Eltern – sagen wir nur das Wort, das
die Sache auch wirklich bezeichnet – einfach beiseitegeschafft worden, wie
man eine Katze vor die Tür wirft, wenn sie ärgert. Ich will durchaus nicht
beschönigen, was mein Neffe gemacht hat, daß er so gestraft wurde, aber sein
Verschulden ist ein solches, daĂź sein einfaches Nennen schon genug
Entschuldigung enthält.«
›Das läßt sich hören‹, dachte Karl, ›aber ich will nicht, daß er alles erzählt.
Übrigens kann er es ja auch nicht wissen. Woher denn?‹
»Er wurde nämlich«, fuhr der Onkel fort und stützte sich mit kleinen
Neigungen auf das vor ihm eingestemmte Bambusstäbchen, wodurch es ihm
tatsächlich gelang, der Sache die unnötige Feierlichkeit zu nehmen, die sie
sonst unbedingt gehabt hätte, »er wurde nämlich von einem Dienstmädchen,
Johanna Brummer, einer etwa fünfunddreißigjährigen Person, verführt. Ich
will mit dem Worte ›verführt‹ meinen Neffen durchaus nicht kränken, aber es
ist doch schwer, ein anderes, gleich passendes Wort zu finden.«
Karl, der schon ziemlich nahe zum Onkel getreten war, drehte sich um, um
den Eindruck der Erzählung von den Gesichtern der Anwesenden abzulesen.
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik