Page - 19 - in Amerika
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Keiner lachte, alle hörten geduldig und ernsthaft zu. Schließlich lacht man
auch nicht über den Neffen eines Senators bei der ersten Gelegenheit, die sich
darbietet. Eher hätte man schon sagen können, daß der Heizer, wenn auch nur
ganz wenig, Karl anlächelte, was aber erstens als neues Lebenszeichen
erfreulich und zweitens entschuldbar war, da ja Karl in der Kabine aus dieser
Sache, die jetzt so publik wurde, ein besonderes Geheimnis hatte machen
wollen.
»Nun hat diese Brummer«, setzte der Onkel fort, »von meinem Neffen ein
Kind bekommen, einen gesunden Jungen, welcher in der Taufe den Namen
Jakob erhielt, zweifellos in Gedanken an meine Wenigkeit, welche, selbst in
den sicher nur ganz nebensächlichen Erwähnungen meines Neffen, auf das
Mädchen einen großen Eindruck gemacht haben muß. Glücklicherweise, sage
ich. Denn da die Eltern zur Vermeidung der Alimentenzahlung oder sonstigen
bis an sie selbst heranreichenden Skandals – ich kenne, wie ich betonen muß,
weder die dortigen Gesetze noch die sonstigen Verhältnisse der Eltern –, da
sie also zur Vermeidung der Alimentenzahlung und des Skandals ihren Sohn,
meinen lieben Neffen, nach Amerika haben transportieren lassen, mit
unverantwortlich ungenügender Ausrüstung, wie man sieht, so wäre der
Junge, ohne die gerade noch in Amerika lebendigen Zeichen und Wunder, auf
sich allein angewiesen, wohl schon gleich in einem Gäßchen im Hafen von
New York verkommen, wenn nicht jenes Dienstmädchen in einem an mich
gerichteten Brief, der nach langen Irrfahrten vorgestern in meinen Besitz kam,
mir die ganze Geschichte samt Personenbeschreibung meines Neffen und
vernünftigerweise auch Namensnennung des Schiffes mitgeteilt hätte. Wenn
ich es darauf angelegt hätte, Sie, meine Herren, zu unterhalten, könnte ich
wohl einige Stellen jenes Briefes« – er zog zwei riesige engbeschriebene
Briefbogen aus der Tasche und schwenkte sie – »hier vorlesen. Er würde
sicher Wirkung machen, da er mit einer etwas einfachen, wenn auch immer
gutgemeinten Schlauheit und mit viel Liebe zu dem Vater des Kindes
geschrieben ist. Aber ich will weder Sie mehr unterhalten, als es zur
Aufklärung nötig ist, noch vielleicht gar zum Empfang möglicherweise noch
bestehende Gefühle meines Neffen verletzen, der den Brief, wenn er mag, in
der Stille seines ihn schon erwartenden Zimmers zur Belehrung lesen kann.«
Karl hatte aber keine Gefühle für jenes Mädchen. Im Gedränge einer immer
mehr zurücktretenden Vergangenheit saß sie in ihrer Küche neben dem
Küchenschrank, auf dessen Platte sie ihren Ellbogen stützte. Sie sah ihn an,
wenn er hin und wieder in die Küche kam, um ein Glas zum Wassertrinken
für seinen Vater zu holen oder einen Auftrag seiner Mutter auszurichten.
Manchmal schrieb sie in der vertrackten Stellung seitlich vom Küchenschrank
einen Brief und holte sich die Eingebungen von Karls Gesicht. Manchmal
hielt sie die Augen mit der Hand verdeckt, dann drang keine Anrede zu ihr.
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik