Page - 20 - in Amerika
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Manchmal kniete sie in ihrem engen Zimmerchen neben der Küche und betete
zu einem hölzernen Kreuz; Karl beobachtete sie dann nur mit Scheu im
Vorübergehen durch die Spalte der ein wenig geöffneten Tür. Manchmal jagte
sie in der Küche herum und fuhr, wie eine Hexe lachend, zurück, wenn Karl
ihr in den Weg kam. Manchmal schloß sie die Küchentüre, wenn Karl
eingetreten war, und behielt die Klinke so lange in der Hand, bis er
wegzugehen verlangte. Manchmal holte sie Sachen, die er gar nicht haben
wollte, und drückte sie ihm schweigend in die Hände. Einmal aber sagte sie
»Karl« und führte ihn, der noch über die unerwartete Ansprache staunte, unter
Grimassen seufzend in ihr Zimmerchen, das sie zusperrte. Würgend umarmte
sie seinen Hals, und während sie ihn bat, sie zu entkleiden, entkleidete sie in
Wirklichkeit ihn und legte ihn in ihr Bett, als wolle sie ihn von jetzt
niemandem mehr lassen und ihn streicheln und pflegen bis zum Ende der
Welt. »Karl, o du mein Karl!« rief sie, als sähe sie ihn und bestätigte sich
seinen Besitz, während er nicht das geringste sah und sich unbehaglich in dem
vielen warmen Bettzeug fühlte, das sie eigens für ihn aufgehäuft zu haben
schien. Dann legte sie sich auch zu ihm und wollte irgendwelche Geheimnisse
von ihm erfahren, aber er konnte ihr keine sagen, und sie ärgerte sich im
Scherz oder Ernst, schüttelte ihn, horchte sein Herz ab, bot ihre Brust zum
gleichen Abhorchen hin, wozu sie Karl aber nicht bringen konnte, drückte
ihren nackten Bauch an seinen Leib, suchte mit der Hand, so widerlich, daß
Karl Kopf und Hals aus den Kissen herausschüttelte, zwischen seinen Beinen,
stieß dann den Bauch einige Male gegen ihn – ihm war, als sei sie ein Teil
seiner Selbst, und vielleicht aus diesem Grunde hatte ihn eine entsetzliche
Hilfsbedürftigkeit ergriffen. Weinend kam er endlich nach vielen
Wiedersehenswünschen ihrerseits in sein Bett. Das war alles gewesen, und
doch verstand es der Onkel, daraus eine große Geschichte zu machen. Und
die Köchin hatte also auch an ihn gedacht und den Onkel von seiner Ankunft
verständigt. Das war schön von ihr gehandelt, und er würde es ihr wohl noch
einmal vergelten.
»Und jetzt«, rief der Senator, »will ich von dir offen hören, ob ich dein
Onkel bin oder nicht.«
»Du bist mein Onkel«, sagte Karl und küßte ihm die Hand und wurde dafür
auf die Stirne geküßt. »Ich bin sehr froh, daß ich dich getroffen habe, aber du
irrst, wenn du glaubst, daß meine Eltern nur Schlechtes von dir reden. Aber
auch abgesehen davon sind in deiner Rede einige Fehler enthalten gewesen,
das heißt, ich meine, es hat sich in Wirklichkeit nicht alles so zugetragen. Du
kannst aber auch wirklich von hier aus die Dinge nicht so gut beurteilen, und
ich glaube außerdem, daß es keinen besonderen Schaden bringen wird, wenn
die Herren in Einzelheiten einer Sache, an der ihnen doch wirklich nicht viel
liegen kann, ein wenig unrichtig informiert worden sind.«
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book Amerika"
Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik