Page - 32 - in Amerika
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Klienten unterhalten mußte. Der Saal der Telegraphen war nicht kleiner,
sondern größer als das Telegraphenamt der Vaterstadt, durch das Karl einmal
an der Hand eines dort bekannten Mitschülers gegangen war. Im Saal der
Telephone gingen, wohin man schaute, die Türen der Telephonzellen auf und
zu, und das Läuten war sinnverwirrend. Der Onkel öffnete die nächste dieser
Türen, und man sah dort im sprühenden elektrischen Licht einen
Angestellten, gleichgültig gegen jedes Geräusch der Türe, den Kopf
eingespannt in ein Stahlband, das ihm die Hörmuscheln an die Ohren drückte.
Der rechte Arm lag auf einem Tischchen, als wäre er besonders schwer, und
nur die Finger, welche den Bleistift hielten, zuckten unmenschlich
gleichmäßig und rasch. In den Worten, die er in den Sprechtrichter sagte, war
er sehr sparsam, und oft sah man sogar, daß er vielleicht gegen den Sprecher
etwas einzuwenden hatte, ihn etwas genauer fragen wollte, aber gewisse
Worte, die er hörte, zwangen ihn, ehe er seine Absicht ausführen konnte, die
Augen zu senken und zu schreiben. Er mußte auch nicht reden, wie der Onkel
Karl leise erklärte, denn die gleichen Meldungen, wie sie dieser Mann
aufnahm, wurden noch von zwei anderen Angestellten gleichzeitig
aufgenommen und dann verglichen, so daß Irrtümer möglichst ausgeschlossen
waren. In dem gleichen Augenblick, als der Onkel und Karl aus der Tür
getreten waren, schlüpfte ein Praktikant hinein und kann mit dem inzwischen
beschriebenen Papier heraus. Mitten durch den Saal war ein beständiger
Verkehr von hin und her gejagten Leuten. Keiner grüßte, das Grüßen war
abgeschafft, jeder schloß sich den Schritten des ihm Vorhergehenden an und
sah auf den Boden, auf dem er möglichst rasch vorwärtskommen wollte, oder
fing mit den Blicken wohl nur einzelne Worte oder Zahlen von Papieren ab,
die er in der Hand hielt und die bei seinem Laufschritt flatterten.
»Du hast es wirklich weit gebracht«, sagte Karl einmal auf einem dieser
Gänge durch den Betrieb, auf dessen Durchsicht man viele Tage verwenden
mußte, selbst wenn man jede Abteilung gerade nur gesehen haben wollte.
»Und alles habe ich vor dreißig Jahren selbst eingerichtet, mußt du wissen.
Ich hatte damals im Hafenviertel ein kleines Geschäft, und wenn dort im Tag
fünf Kisten abgeladen waren, so war es viel und ich ging aufgeblasen nach
Hause. Heute habe ich die drittgrößten Lagerhäuser im Hafen, und jener
Laden ist das Eßzimmer und die Gerätekammer der fünfundsechzigsten
Gruppe meiner Packträger.«
»Das grenzt ja ans Wunderbare«, sagte Karl.
»Alle Entwicklungen gehen hier so schnell vor sich«, sagte der Onkel, das
Gespräch abbrechend.
Eines Tages kam der Onkel knapp vor der Zeit des Essens, das Karl wie
gewöhnlich allein einzunehmen gedachte, und forderte ihn auf, sich
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik