Page - 35 - in Amerika
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»Erwarten wird er mich nicht«, sagte Karl, »aber er wird allerdings
hinkommen.«
»Nun also?« sagte der Onkel, als wäre Karls Antwort nicht die geringste
Rechtfertigung gewesen.
Wieder sagte Herr Pollunder das Entscheidende: »Aber Klara« – sie war
Herrn Pollunders Tochter – »erwartet ihn auch und schon heute abend, und sie
hat wohl den Vorzug vor Mack?«
»Allerdings«, sagte der Onkel. »Also lauf schon in dein Zimmer«, und er
schlug mehrmals wie ohne Willen gegen die Armlehne des Fauteuils. Karl
war schon bei der Tür, als ihn der Onkel noch mit der Frage zurückhielt: »Zur
Englischstunde bist du doch wohl morgen früh wieder hier?«
»Aber!« rief Herr Pollunder und drehte sich, soweit es seine Dicke
erlaubte, in seinem Fauteuil vor Erstaunen. »Ja darf er denn nicht wenigstens
den morgigen Tag draußen bleiben? Ich brächte ihn dann übermorgen früh
wieder zurück?«
»Das geht auf keinen Fall«, erwiderte der Onkel. »Ich kann sein Studium
nicht so in Unordnung kommen lassen. Später, wenn er in einem an und für
sich geregelten Berufsleben sein wird, werde ich ihm sehr gern auch für
längere Zeit erlauben, einer so freundlichen und ehrenden Einladung zu
folgen.«
›Was das für Widersprüche sind!‹ dachte Karl.
Herr Pollunder war traurig geworden. »Für einen Abend und eine Nacht
steht es aber wirklich fast nicht dafür.«
»Das war auch meine Meinung«, sagte der Onkel.
»Man muß nehmen, was man bekommt«, sagte Herr Pollunder und lachte
schon wieder. »Also, ich warte!« rief er Karl zu, welcher, da der Onkel nichts
mehr sagte, davoneilte.
Als er bald reisefertig zurückkehrte, traf er im Büro nur noch Herrn
Pollunder, der Onkel war fortgegangen. Herr Pollunder schüttelte Karl ganz
glücklich beide Hände, als wolle er sich so stark als möglich dessen
vergewissern, daß Karl nun doch mitfahre. Karl war noch ganz erhitzt von der
Eile und schüttelte auch seinerseits Herrn Pollunders Hände, er freute sich,
den Ausflug machen zu können.
»Hat sich der Onkel nicht darüber geärgert, daß ich fahre?«
»Aber nein! Das hat er ja alles nicht so ernst gemeint. Ihre Erziehung liegt
ihm eben am Herzen.«
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik