Page - 40 - in Amerika
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des Herrn Pollunder und wie schön sie sich in der Tochter verwandelt hatten.
»Nach dem Nachtmahl«, so sagte sie, »werden wir, wenn es Ihnen recht ist,
gleich in meine Zimmer gehen, damit wir wenigstens diesen Herrn Green los
sind, wenn schon Papa sich mit ihm beschäftigen muß. Und Sie werden dann
so freundlich sein, mir Klavier vorzuspielen, denn Papa hat schon erzählt, wie
gut Sie das können, ich aber bin leider ganz unfähig, Musik auszuüben, und
rühre mein Klavier nicht an, so sehr ich die Musik eigentlich liebe.«
Mit dem Vorschlag Klaras war Karl ganz einverstanden, wenn er auch gern
Herrn Pollunder mit in ihre Gesellschaft hätte ziehen wollen. Vor der riesigen
Gestalt Greens – an Pollunders Größe hatte sich Karl eben schon gewöhnt –,
die sich vor ihnen, wie sie die Stufen hinaufstiegen, langsam entwickelte,
wich allerdings von Karl jede Hoffnung, diesem Mann den Herrn Pollunder
heute abend irgendwie zu entlocken.
Herr Green empfing sie sehr eilig, als sei vieles einzuholen, nahm Herrn
Pollunders Arm und schob Karl und Klara vor sich in das Speisezimmer, das
besonders infolge der Blumen auf dem Tische, die sich aus Streifen frischen
Laubes halb aufrichteten, sehr festlich aussah und doppelt die Anwesenheit
des störenden Herrn Green bedauern ließ. Gerade freute sich noch Karl, der
beim Tische wartete, bis die anderen sich setzten, daß die große Glastüre zum
Garten hin offen bleiben würde, denn ein starker Duft wehte herein wie in
eine Gartenlaube, da ging gerade Herr Green unter Schnaufen daran, diese
Glastüre zuzumachen, bückte sich nach den untersten Riegeln, streckte sich
nach den obersten und alles so jugendlich rasch, daß der herbeieilende Diener
nichts mehr zu tun fand. Die ersten Worte des Herrn Green bei Tische waren
Ausdrücke des Staunens darüber, daß Karl die Erlaubnis des Onkels zu
diesem Besuche bekommen hatte. Einen gefüllten Suppenlöffel nach dem
anderen hob er zum Mund und erklärte rechts zu Klara, links zu Herrn
Pollunder, warum er so staune und wie der Onkel über Karl wache und wie
die Liebe des Onkels zu Karl zu groß sei, als daß man sie noch Liebe eines
Onkels nennen könne.
›Nicht genug, daß er sich hier unnötig einmischt, mischt er sich noch
gleichzeitig zwischen mich und den Onkel ein‹, dachte Karl und konnte
keinen Schluck der goldfarbigen Suppe hinunterbringen. Dann wollte er sich
aber wieder nichts anmerken lassen, wie gestört er sich fühlte, und begann die
Suppe stumm in sich hineinzuschütten. Das Essen verging langsam wie eine
Plage. Nur Herr Green und höchstens noch Klara waren lebhaft und fanden
mitunter Gelegenheit zu einem kurzen Lachen. Herr Pollunder verfing sich
nur einige Male in die Unterhaltung, wenn Herr Green von Geschäften zu
sprechen anfing. Doch zog er sich auch von solchen Gesprächen bald zurück,
und Herr Green mußte ihn nach einiger Zeit wieder unvermutet damit
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book Amerika"
Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik