Page - 43 - in Amerika
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war, von der der Vater zu Hause hie und da als von einer Tatsache zu erzählen
pflegte, die er wahrscheinlich selbst mit eigenen Augen niemals gesehen
hatte, verbreitete sich in dem Saal und trug Greens Einfluß auch in Winkel
und Nischen, die er persönlich niemals betreten würde. So weit entfernt Karl
auch stand, noch spürte er von dem Rauch einen Kitzel in der Nase, und das
Benehmen Herrn Greens, nach welchem er sich von seinem Platz aus nur
einmal schnell umsah, erschien ihm infam. Jetzt hielt er es gar nicht mehr für
ausgeschlossen, daß ihm der Onkel die Erlaubnis zu diesem Besuch nur
deshalb so lange verweigert hatte, weil er den schwachen Charakter Herrn
Pollunders kannte und infolgedessen eine Kränkung Karls bei diesem Besuch,
wenn auch nicht genau voraussah, so doch im Bereich der Möglichkeit
erblickte. Auch das amerikanische Mädchen gefiel ihm nicht, obwohl er sich
sie durchaus nicht etwa viel schöner vorgestellt hatte. Seit sich Herr Green
mit ihr abgegeben hatte, war er sogar überrascht von der Schönheit, deren ihr
Gesicht fähig war, und besonders von dem Glanz ihrer unbändig bewegten
Augen. Einen Rock, der so fest wie der ihre den Körper umschlossen hätte,
hatte er noch niemals gesehen, kleine Falten in dem gelblichen, zarten und
festen Stoff zeigten die Stärke der Spannung. Und doch lag Karl gar nichts an
ihr und er hätte gern darauf verzichtet, auf ihre Zimmer geführt zu werden,
wenn er statt dessen die Tür, auf deren Klinke er für jeden Fall die Hände
gelegt hatte, hätte öffnen, ins Automobil steigen oder, wenn der Chauffeur
schon schlief, allein nach New York hätte spazieren dürfen. Die klare Nacht
mit dem ihm zugeneigten vollen Mond stand frei für jedermann, und draußen
im Freien vielleicht Furcht zu haben schien Karl sinnlos. Er stellte sich vor –
und zum erstenmal wurde ihm in diesem Saale wohl –, wie er am Morgen –
früher dürfte er kaum zu Fuß nach Hause kommen – den Onkel überraschen
wollte. Er war zwar noch niemals in seinem Schlafzimmer gewesen, wußte
auch gar nicht, wo es lag, aber er wollte es schon erfragen. Dann wollte er
anklopfen und auf das förmliche »Herein!« ins Zimmer laufen und den lieben
Onkel, den er bisher immer nur bis hoch hinauf angezogen und zugeknöpft
kannte, aufrecht im Bette sitzend, die Augen erstaunt zur Tür gerichtet, im
Nachthemd überraschen. Das war ja an und für sich vielleicht noch nicht viel,
aber man mußte nur ausdenken, was das zur Folge haben könnte. Vielleicht
würde er zum erstenmal gemeinsam mit seinem Onkel frühstücken, der Onkel
im Bett, er auf einem Sessel, das Frühstück auf einem Tischchen zwischen
ihnen, vielleicht würde dieses gemeinsame Frühstück zu einer ständigen
Einrichtung werden, vielleicht würden sie infolge dieser Art Frühstück, was
sogar kaum zu vermeiden war, öfters als wie bisher bloß einmal während des
Tages zusammenkommen und dann natürlich auch offener miteinander reden
können. Es lag ja schließlich nur an dem Mangel dieser offenen Aussprache,
wenn er heute dem Onkel gegenüber etwas unfolgsam oder, besser,
starrköpfig gewesen war. Und wenn er auch heute über Nacht hierbleiben
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik