Page - 45 - in Amerika
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»Sie sollen mich nicht auslachen«, sagte er ärgerlich. Schließlich kannte er
schon Europa und Amerika, sie aber nur Amerika.
Im Vorübergehen stieß Klara mit leicht ausgestreckter Hand eine Tür auf
und sagte, ohne anzuhalten: »Hier werden Sie schlafen.«
Karl wollte sich natürlich das Zimmer gleich anschauen, aber Klara erklärte
ungeduldig und fast schreiend, das habe doch Zeit und er solle nur vorher
mitkommen. Sie zogen sich auf dem Gang ein wenig hin und her, schließlich
meinte Karl, er müsse sich nicht in allem nach Klara richten, riß sich los und
trat in das Zimmer. Ein überraschendes Dunkel vor dem Fenster erklärte sich
durch einen Baumwipfel, der sich dort in seinem vollen Umfang wiegte. Man
hörte Vogelgesang. Im Zimmer selbst, das vom Mondlicht noch nicht erreicht
war, konnte man allerdings fast gar nichts unterscheiden. Karl bedauerte, die
elektrische Taschenlampe, die er vom Onkel geschenkt bekommen hatte,
nicht mitgenommen zu haben. In diesem Hause war ja eine Taschenlampe
unentbehrlich, hätte man ein paar solcher Lampen gehabt, hätte man die
Diener schlafen schicken können. Er setzte sich aufs Fensterbrett und sah und
horchte hinaus. Ein aufgestörter Vogel schien sich durch das Laubwerk des
alten Baumes zu drängen. Die Pfeife eines New Yorker Vorortzuges erklang
irgendwo im Land. Sonst war es still.
Aber nicht lange, denn Klara kam eilends herein. Sichtlich böse rief sie:
»Was soll denn das?« und klatschte auf ihren Rock. Karl wollte erst
antworten, wenn sie höflicher geworden war. Aber sie ging mit großen
Schritten auf ihn zu, rief: »Also wollen Sie mit mir kommen oder nicht?«
stieß ihn mit Absicht oder bloß in der Erregung derart in die Brust, daß er aus
dem Fenster gestürzt wäre, hätte er nicht noch im letzten Augenblick, vom
Fensterbrett gleitend, mit den Füßen den Zimmerboden berührt.
»Jetzt wäre ich bald hinausgefallen«, sagte er vorwurfsvoll.
»Schade, daß es nicht geschehen ist. Warum sind Sie so unartig! Ich stoße
Sie noch einmal hinunter.«
Und wirklich umfaßte sie ihn und trug ihn, der, zuerst verblüfft, sich
schwer zu machen vergaß, mit ihrem vom Sport gestählten Körper fast bis
zum Fenster. Aber dort besann er sich, machte sich mit einer Wendung der
Hüften los und umfaßte sie.
»Ach, Sie tun mir weh«, sagte sie gleich.
Aber nun glaubte Karl, sie nicht mehr loslassen zu dürfen. Er ließ ihr zwar
Freiheit, Schritte nach Belieben zu machen, folgte ihr aber und ließ sie nicht
los. Es war auch so leicht, sie in ihrem engen Kleid zu umfassen.
»Lassen Sie mich«, flüsterte sie, das erhitzte Gesicht eng an seinem, er
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik