Page - 49 - in Amerika
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nicht auch diese Seite des Hauses erhöht sein? Aber wenn wenigstens auf
dem Gang irgendwo ein Lichtschein aus einer Tür zu sehen oder eine Stimme
aus der Ferne auch noch so leise zu hören gewesen wäre!
Seine Taschenuhr, ein Geschenk des Onkels, zeigte elf Uhr, er nahm die
Kerze und ging auf den Gang hinaus. Die Tür ließ er offen, um für den Fall,
als sein Suchen vergeblich wäre, wenigstens sein Zimmer wiederzufinden und
danach, für den äußersten Notfall, die Tür zu Klaras Zimmer. Zur Sicherheit,
damit sich die Türe nicht von selbst schließe, verstellte er sie mit einem
Sessel. Auf dem Gang zeigte sich der Übelstand, daß gegen Karl – er ging
natürlich von Klaras Türe weg nach links – ein Luftzug strich, der zwar ganz
schwach war, aber immerhin leicht die Kerze hätte auslöschen können, so daß
Karl die Flamme mit der Hand schützen und überdies öfters stehenbleiben
mußte, damit die niedergedrückte Flamme sich erhole. Es war ein langsames
Vorwärtskommen, und der Weg schien dadurch doppelt lang. Karl war schon
an großen Strecken der Wände vorübergekommen, die gänzlich ohne Türen
waren, man konnte sich nicht vorstellen, was dahinter war. Dann kam wieder
Tür an Tür, er suchte, mehrere zu öffnen, sie waren versperrt und die Räume
offenbar unbewohnt. Es war eine Raumverschwendung sondergleichen, und
Karl dachte an die östlichen New Yorker Quartiere, die ihm der Onkel zu
zeigen versprochen hatte, wo angeblich in einem kleinen Zimmer mehrere
Familien wohnten und das Heim einer Familie in einem Zimmerwinkel
bestand, in dem sich die Kinder um ihre Eltern scharten. Und hier standen so
viele Zimmer leer und waren nur dazu da, um hohl zu klingen, wenn man an
die Tür schlug. Herr Pollunder schien Karl irregeführt zu sein von falschen
Freunden und vernarrt in seine Tochter und dadurch verdorben. Der Onkel
hatte ihn sicher richtig beurteilt, und nur sein Grundsatz, auf die
Menschenbeurteilung Karls keinen Einfluß zu nehmen, war schuld an diesem
Besuch und an diesen Wanderungen auf den Gängen. Karl wollte das morgen
dem Onkel ohne weiteres sagen, denn nach seinem Grundsatz würde der
Onkel auch das Urteil des Neffen über ihn gerne und ruhig anhören. Überdies
war dieser Grundsatz vielleicht das einzige, was Karl an seinem Onkel nicht
gefiel, und selbst dieses Nichtgefallen war nicht unbedingt.
Plötzlich hörte die Wand an der einen Gangseite auf, und ein eiskaltes
marmornes Geländer trat an ihre Stelle. Karl stellte die Kerze neben sich und
beugte sich vorsichtig hinunter. Dunkle Leere wehte ihm entgegen. Wenn das
die Haupthalle des Hauses war – im Schimmer der Kerze erschien ein Stück
einer gewölbeartig geführten Decke –, warum war man nicht durch diese
Halle eingetreten? Wozu diente nur dieser große, tiefe Raum? Man stand ja
hier oben wie auf der Galerie einer Kirche. Karl bedauerte fast, nicht bis
morgen in diesem Haus bleiben zu können, er hätte gern bei Tageslicht von
Herrn Pollunder sich überall herumführen und über alles unterrichten lassen.
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik