Page - 58 - in Amerika
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vorstellen, daß mir das selbst leid tut, denn es stört meine Nachtruhe, aber ich
halte mich an meinen Auftrag. Jetzt ist es viertel zwölf, ich kann also meine
Geschäfte noch mit Herrn Pollunder zu Ende besprechen, wobei Ihre
Gegenwart nur stören würde, und Sie können ein hübsches Weilchen mit
Fräulein Klara verbringen. Punkt zwölf stellen Sie sich dann hier ein, wo Sie
das Nötige erfahren werden.«
Konnte Karl diese Forderung ablehnen, die von ihm wirklich nur das
Geringste an Höflichkeit und Dankbarkeit gegenüber Herrn Pollunder
verlangte und die überdies ein sonst unbeteiligter, roher Mann stellte,
während Herr Pollunder, den es anging, sich mit Worten und Blicken
möglichst zurückhielt? Und was war jenes Interessante, das er erst um
Mitternacht erfahren durfte? Wenn es seine Heimkehr nicht wenigstens um
die dreiviertel Stunde beschleunigte, um die es sie jetzt verschob, interessierte
es ihn wenig. Aber sein größter Zweifel war, ob er überhaupt zu Klara gehen
konnte, die doch seine Feindin war. Wenn er wenigstens das Schlageisen bei
sich gehabt hätte, das ihm der Onkel als Briefbeschwerer geschenkt hatte!
Das Zimmer Klaras mochte ja eine recht gefährliche Höhle sein. Aber nun
war es ja ganz und gar unmöglich, hier gegen Klara das geringste zu sagen, da
sie Pollunders Tochter und, wie er jetzt gehört hatte, gar Macks Braut war. Sie
hätte ja nur um eine Kleinigkeit anders sich zu ihm verhalten müssen, und er
hätte sie wegen ihrer Beziehungen offen bewundert. Noch überlegte er das
alles, aber schon merkte er, daß man keine Überlegungen von ihm verlangte,
denn Green öffnete die Tür und sagte dem Diener, der vom Postamente
sprang: »Führen Sie diesen jungen Mann zu Fräulein Klara.«
›So führt man Befehle aus‹, dachte Karl, als ihn der Diener, fast laufend,
stöhnend vor Altersschwäche, auf einem besonders kurzen Weg zu Klaras
Zimmer zog. Als Karl an seinem Zimmer vorüberkam, dessen Tür noch
immer offenstand, wollte er, vielleicht zu seiner Beruhigung, für einen
Augenblick eintreten. Der Diener ließ das aber nicht zu.
»Nein«, sagte er, »Sie müssen zu Fräulein Klara. Sie haben es ja selbst
gehört.«
»Ich würde mich nur einen Augenblick drinnen aufhalten«, sagte Karl, und
er dachte daran, sich zur Abwechslung ein wenig auf das Kanapee zu werfen,
damit ihm die Zeit rascher gegen Mitternacht vorrücke.
»Erschweren Sie mir die Ausführung meines Auftrages nicht«, sagte der
Diener.
›Er scheint es für eine Strafe zu halten, daß ich zu Fräulein Klara gehen
muß‹, dachte Karl und machte ein paar Schritte, blieb aber aus Trotz wieder
stehen.
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik