Page - 77 - in Amerika
Image of the Page - 77 -
Text of the Page - 77 -
Verkauf seiner Kleider etwas verdient hätten, das wäre doch Beleidigung und
Abschied für immer gewesen. Das Erstaunliche aber war, daß weder
Delamarche noch Robinson irgendwelche Sorgen wegen der Bezahlung
hatten, vielmehr hatten sie gute Laune genug, möglichst oft Anknüpfungen
mit der Kellnerin zu versuchen, die stolz und mit schwerem Gang zwischen
den Tischen hin und her ging. Ihr Haar hing ihr von den Seiten ein wenig lose
in Stirn und Wangen, und sie strich es immer wieder zurück, indem sie mit
den Händen darunter hinfuhr. Schließlich, als man vielleicht das erste
freundliche Wort von ihr erwartete, trat sie zum Tische, legte beide Hände auf
ihn und fragte: »Wer zahlt?« Nie waren Hände rascher aufgeflogen als jetzt
jene von Delamarche und Robinson, die auf Karl zeigten. Karl erschrak
darüber nicht, denn er hatte es ja vorausgesehen, und sah nichts Schlimmes
darin, daß die Kameraden, von denen er ja auch Vorteile erwartete, einige
Kleinigkeiten von ihm bezahlen ließen, wenn es auch anständiger gewesen
wäre, diese Sache vor dem entscheidenden Augenblick ausdrücklich zu
besprechen. Peinlich war bloß, daß er das Geld erst aus der Geheimtasche
heraufbefördern mußte. Seine ursprüngliche Absicht war es gewesen, das
Geld für die letzte Not aufzuheben und sich also vorläufig mit seinen
Kameraden gewissermaßen in eine Reihe zu stellen. Der Vorteil, den er durch
dieses Geld und vor allem durch das Verschweigen des Besitzes gegenüber
den Kameraden erlangte, wurde für diese mehr als reichlich dadurch
aufgewogen, daß sie schon seit ihrer Kindheit in Amerika waren, daß sie
genügende Kenntnisse und Erfahrungen für Gelderwerb hatten und daß sie
schließlich an bessere Lebensverhältnisse als ihre gegenwärtigen nicht
gewöhnt waren. Diese bisherigen Absichten, die Karl rücksichtlich seines
Geldes hatte, mußten an und für sich durch diese Bezahlung nicht gestört
werden, denn einen Vierteldollar konnte er schließlich entbehren und deshalb
also ein Vierteldollarstück auf den Tisch legen und erklären, dies sei sein
einziges Eigentum und er sei bereit, es für die gemeinsame Reise nach
Butterford zu opfern. Für die Fußreise genügte ein solcher Betrag auch
vollkommen. Nun aber wußte er nicht, ob er genügend Kleingeld hatte, und
überdies lag dieses Geld sowie die zusammengelegten Banknoten irgendwo in
der Tiefe der Geheimtasche, in der man eben am besten etwas fand, wenn
man den ganzen Inhalt auf den Tisch schüttete. Außerdem war es höchst
unnötig, daß die Kameraden von dieser Geheimtasche überhaupt etwas
erfuhren. Nun schien es zum Glück, daß die Kameraden sich noch immer
mehr für die Kellnerin interessierten als dafür, wie Karl das Geld für die
Bezahlung zusammenbrächte. Delamarche lockte die Kellnerin durch die
Aufforderung, die Rechnung aufzustellen, zwischen sich und Robinson und
sie konnte die Zudringlichkeiten der beiden nur dadurch abwehren, daß sie
einem oder dem anderen die ganze Hand auf das Gesicht legte und ihn
wegschob. Inzwischen sammelte Karl, heiß vor Anstrengung, unter der
77
back to the
book Amerika"
Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik