Page - 86 - in Amerika
Image of the Page - 86 -
Text of the Page - 86 -
Karl hatte sich vom Koffer erhoben und sah nun auch den verschlafenen,
aber vom Bier ein wenig belebten Robinson herankommen. »Wenn ich noch
lange hierbleibe«, sagte er, »könnte ich vielleicht noch weitere
Überraschungen erleben. Sie scheinen Lust zu haben, mich durchzuprügeln.«
»Alle Geduld hat ein Ende«, sagte Robinson.
»Sie schweigen besser, Robinson«, sagte Karl, ohne Delamarche aus den
Augen zu lassen, »im Innern geben Sie mir ja doch recht, aber nach außen
müssen Sie es mit Delamarche halten!«
»Wollen Sie ihn vielleicht bestechen?« fragte Delamarche.
»Fällt mir nicht ein«, sagte Karl. »Ich bin froh, daß ich fortgehe, und ich
will mit keinem von Ihnen mehr etwas zu tun haben. Nur eines will ich noch
sagen, Sie haben mir den Vorwurf gemacht, daß ich Geld besitze und es vor
Ihnen versteckt habe. Angenommen, daß es wahr ist, war es nicht sehr richtig
Leuten gegenüber gehandelt, die ich erst ein paar Stunden kannte, und
bestätigen Sie nicht noch durch Ihr jetziges Benehmen die Richtigkeit einer
derartigen Handlungsweise?«
»Bleib ruhig«, sagte Delamarche zu Robinson, obwohl sich dieser nicht
rührte. Dann fragte er Karl. »Da Sie so unverschämt aufrichtig sind, so treiben
Sie doch, da wir ja so gemütlich beisammenstehen, diese Aufrichtigkeit noch
weiter und gestehen Sie ein, warum Sie eigentlich ins Hotel wollen.« Karl
mußte einen Schritt über den Koffer hinweg machen, so nahe war Delamarche
an ihn herangetreten. Aber Delamarche ließ sich dadurch nicht beirren, schob
den Koffer beiseite, machte einen Schritt vorwärts, wobei er den Fuß auf ein
weißes Vorhemd setzte, das im Gras liegengeblieben war, und wiederholte
seine Frage.
Wie zur Antwort stieg von der Straße her ein Mann mit einer stark
leuchtenden Taschenlampe zu der Gruppe herauf. Es war ein Kellner aus dem
Hotel. Kaum hatte er Karl erblickt, sagte er: »Ich suche Sie schon fast eine
halbe Stunde. Alle Böschungen auf beiden Straßenseiten habe ich schon
abgesucht. Die Frau Oberköchin läßt Ihnen nämlich sagen, daß sie den
Strohkorb, den sie Ihnen geborgt hat, dringend braucht.«
»Hier ist er«, sagte Karl mit einer vor Aufregung unsicheren Stimme.
Delamarche und Robinson waren in scheinbarer Bescheidenheit
beiseitegetreten, wie sie es vor fremden gutgestellten Leuten immer machten.
Der Kellner nahm den Korb an sich und sagte: »Dann läßt Sie die Frau
Oberköchin fragen, ob Sie es sich nicht überlegt haben und doch vielleicht im
Hotel übernachten wollten. Auch die beiden anderen Herren wären
willkommen, wenn Sie sie mitnehmen wollen. Die Betten sind schon
vorbereitet. Die Nacht ist ja heute warm, aber hier, auf der Lehne, ist es
86
back to the
book Amerika"
Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik