Page - 91 - in Amerika
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»Sie sprechen Deutsch und ein schönes Englisch, das genügt vollkommen.«
»Englisch habe ich erst in Amerika in zweieinhalb Monaten erlernt«, sagte
Karl, er glaubte, seinen einzigen Vorzug nicht verschweigen zu dürfen. »Das
spricht schon genügend für Sie«, sagte die Oberköchin. »Wenn ich daran
denke, welche Schwierigkeiten mir das Englisch gemacht hat. Das ist
allerdings schon seine dreißig Jahre her. Gerade gestern habe ich davon
gesprochen. Gestern war nämlich mein fünfzigster Geburtstag.« Und sie
suchte lächelnd den Eindruck von Karls Mienen abzulesen, den die Würde
dieses Alters auf ihn machte.
»Dann wünsche ich Ihnen viel Glück«, sagte Karl.
»Das kann man immer brauchen«, sagte sie, schüttelte Karl die Hand und
wurde wieder halb traurig über diese alte Redensart aus der Heimat, die ihr da
im Deutschsprechen eingefallen war.
»Aber ich halte Sie auf «, rief sie dann. »Und Sie sind gewiß sehr müde,
und wir können auch alles viel besser bei Tag besprechen. Die Freude, einen
Landsmann getroffen zu haben, macht ganz gedankenlos. Kommen Sie, ich
werde Sie in Ihr Zimmer führen.«
»Ich habe noch eine Bitte, Frau Oberköchin«, sagte Karl im Anblick des
Telephonkastens, der auf dem Tisch stand, »es ist möglich, daß mir morgen,
vielleicht sehr früh, meine früheren Kameraden eine Photographie bringen,
die ich dringend brauche. Wären Sie so freundlich und würden Sie dem
Portier telephonieren, er möchte die Leute zu mir schicken oder mich holen
lassen?«
»Gewiß«, sagte die Oberköchin, »aber würde es nicht genügen, wenn er
ihnen die Photographie abnimmt? Was ist es denn für eine Photographie,
wenn man fragen darf?«
»Es ist die Photographie meiner Eltern«, sagte Karl. »Nein, ich muß mit
den Leuten selbst sprechen.« Die Oberköchin sagte nichts weiter und gab
telephonisch in die Portierloge den entsprechenden Befehl, wobei sie 536 als
Zimmernummer Karls nannte.
Sie gingen dann durch eine der Eingangstür entgegengesetzte Tür auf einen
kleinen Gang hinaus, wo an dem Geländer eines Aufzuges ein kleiner
Liftjunge schlafend lehnte. »Wir können uns selbst bedienen«, sagte die
Oberköchin leise und ließ Karl in den Aufzug eintreten. »Eine Arbeitszeit von
zehn bis zwölf Stunden ist eben ein wenig zuviel für einen solchen Jungen«,
sagte sie dann, während sie aufwärts fuhren. »Aber es ist eigentümlich in
Amerika. Da ist dieser kleine Junge zum Beispiel, er ist auch erst vor einem
halben Jahre mit seinen Eltern hier angekommen, er ist ein Italiener. Jetzt
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik