Page - 96 - in Amerika
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schlafen wollten, dies im Dunkel der einen Saalhälfte – es war ein großer Saal
mit vierzig Betten – ruhig tun können, während die anderen im beleuchteten
Teil Würfel oder Karten hätten spielen und alles übrige besorgen können,
wozu Licht nötig war. Hätte einer, dessen Bett in der beleuchteten Saalhälfte
stand, schlafen gehen wollen, so hätte er sich in eines der freien Betten im
Dunkel legen können, denn es standen immer Betten genug frei, und niemand
wendete gegen eine derartige vorübergehende Benützung seines Bettes durch
einen anderen etwas ein. Aber es gab keine Nacht, in der diese Einteilung
befolgt worden wäre. Immer wieder fanden sich zum Beispiel zwei, welche,
nachdem sie das Dunkel zu etwas Schlaf ausgenutzt hatten, Lust bekamen, in
ihren Betten auf einem zwischen sie gelegten Brett Karten zu spielen, und
natürlich drehte sie eine passende elektrische Lampe auf, deren stechendes
Licht die Schlafenden, wenn sie ihm zugewendet waren, auffahren ließ. Man
wälzte sich zwar noch ein wenig herum, fand aber schließlich auch nichts
Besseres zu tun, als mit dem gleichfalls geweckten Nachbarn auch ein Spiel
bei neuer Beleuchtung vorzunehmen. Und wieder dampften natürlich auch
alle Pfeifen. Es gab allerdings auch einige, die um jeden Preis schlafen
wollten – Karl gehörte meist zu ihnen – und die, statt den Kopf aufs Kissen zu
legen, ihn mit dem Kissen bedeckten oder hineinwickelten; aber wie wollte
man im Schlaf bleiben, wenn der nächste Nachbar in tiefer Nacht aufstand,
um vor dem Dienst noch ein wenig in der Stadt dem Vergnügen nachzugehen,
wenn er in dem am Kopfende des eigenen Bettes angebrachten Waschbecken
laut und wassersprühend sich wusch, wenn er die Stiefel nicht nur polternd
anzog, sondern stampfend sich besser in sie hineintreten wollte – fast alle
hatten trotz amerikanischer Stiefelform zu enge Stiefel –, um dann
schließlich, da ihm eine Kleinigkeit in seiner Ausstattung fehlte, das Kissen
des Schlafenden zu heben, unter dem man, allerdings schon längst geweckt,
nur darauf wartete, auf ihn loszufahren? Nun waren sie aber auch alle
Sportsleute und junge, meist kräftige Burschen, die keine Gelegenheit zu
sportlichen Übungen versäumen wollten. Und man konnte sicher sein, wenn
man in der Nacht, mitten aus dem Schlaf durch großen Lärm geweckt,
aufsprang, auf dem Boden neben seinem Bett zwei Ringkämpfer zu finden
und bei greller Beleuchtung auf allen Betten in der Runde aufrecht stehende
Sachverständige in Hemd und Unterhosen. Einmal fiel anläßlich eines
solchen nächtlichen Boxkampfes einer der Kämpfer über den schlafenden
Karl, und das erste, was Karl beim Öffnen der Augen erblickte, war das Blut,
das dem Jungen aus der Nase rann und, ehe man noch etwas dagegen
unternehmen konnte, das ganze Bettzeug überfloß. Oft verbrachte Karl fast
die ganzen zwölf Stunden mit Versuchen, einige Stunden Schlaf zu gewinnen,
obwohl es ihn auch sehr lockte, an den Unterhaltungen der anderen
teilzunehmen; aber immer wieder schien es ihm, daß alle anderen in ihrem
Leben einen Vorsprung vor ihm hatten, den er durch fleißigere Arbeit und ein
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik