Page - 102 - in Amerika
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schmutzigen Fetzen von Bett zu Bett gereicht wurden. Bei den
Zusammenkünften korrigierte nun Therese mit übergroßer Umständlichkeit;
es ergaben sich strittige Ansichten, Karl führte als Zeugen seinen großen New
Yorker Professor an, aber der galt bei Therese ebenso wenig wie die
grammatikalischen Meinungen der Liftjungen. Sie nahm ihm die Füllfeder
aus der Hand und strich die Stelle, von deren Fehlerhaftigkeit sie überzeugt
war, durch, Karl aber strich in solchen Zweifelsfällen, obwohl im allgemeinen
keine höhere Autorität als Therese die Sache zu Gesicht bekommen sollte, aus
Genauigkeit die Striche Theresens wieder durch. Manchmal allerdings kam
die Oberköchin und entschied dann immer zu Theresens Gunsten, was noch
nicht beweisend war, denn Therese war ihre Sekretärin. Gleichzeitig aber
brachte sie die allgemeine Versöhnung, denn es wurde Tee gekocht, Gebäck
geholt, und Karl mußte von Europa erzählen, allerdings mit vielen
Unterbrechungen von seiten der Oberköchin, die immer wieder fragte und
staunte, wodurch sie Karl zu Bewußtsein brachte, wie vieles sich dort in
verhältnismäßig kurzer Zeit von Grund aus geändert hatte und wie vieles
wohl auch schon seit seiner Abwesenheit anders geworden war und immerfort
anders wurde.
Karl mochte etwa einen Monat in Ramses gewesen sein, als ihm eines
Abends Renell im Vorübergehen sagte, er sei vor dem Hotel von einem Mann
mit Namen Delamarche angesprochen und nach Karl ausgefragt worden.
Renell habe nun keinen Grund gehabt, etwas zu verschweigen, und habe der
Wahrheit gemäß erzählt, daß Karl Liftjunge sei, jedoch Aussicht habe, infolge
der Protektion der Oberköchin noch ganz andere Stellen zu bekommen. Karl
merkte, wie vorsichtig Renell von Delamarche behandelt worden war, der ihn
sogar für diesen Abend zu einem gemeinsamen Nachtmahl eingeladen hatte.
»Ich habe nichts mehr mit Delamarche zu tun«, sagte Karl, »nimm du dich
nur auch vor ihm in acht!«
»Ich?« sagte Renell, streckte sich und eilte weg. Er war der zierlichste
Junge im Hotel, und es ging unter den anderen Jungen, ohne daß man den
Urheber wußte, das Gerücht um, daß er von einer vornehmen Dame, die
schon längere Zeit im Hotel wohnte, im Lift zumindest abgeküßt worden sei.
Für den, der das Gerücht kannte, hatte es unbedingt einen großen Reiz, jene
selbstbewußte Dame, in deren Äußerem nicht das geringste die Möglichkeit
eines solchen Benehmens ahnen ließ, mit ihren ruhigen, leichten Schritten,
zarten Schleiern, streng geschnürter Taille an sich vorübergehen zu sehen. Sie
wohnte im ersten Stock, und Renells Lift war nicht der ihre, aber man konnte
natürlich, wenn die anderen Lifts augenblicklich besetzt waren, solchen
Gästen den Eintritt in einen anderen Lift nicht verwehren. So kam es, daß
diese Dame hie und da in Karls und Renells Lift fuhr, und tatsächlich immer
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book Amerika"
Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik