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schmutzigen Fetzen von Bett zu Bett gereicht wurden. Bei den Zusammenkünften korrigierte nun Therese mit übergroßer Umständlichkeit; es ergaben sich strittige Ansichten, Karl führte als Zeugen seinen großen New Yorker Professor an, aber der galt bei Therese ebenso wenig wie die grammatikalischen Meinungen der Liftjungen. Sie nahm ihm die Füllfeder aus der Hand und strich die Stelle, von deren Fehlerhaftigkeit sie überzeugt war, durch, Karl aber strich in solchen Zweifelsfällen, obwohl im allgemeinen keine höhere Autorität als Therese die Sache zu Gesicht bekommen sollte, aus Genauigkeit die Striche Theresens wieder durch. Manchmal allerdings kam die Oberköchin und entschied dann immer zu Theresens Gunsten, was noch nicht beweisend war, denn Therese war ihre Sekretärin. Gleichzeitig aber brachte sie die allgemeine Versöhnung, denn es wurde Tee gekocht, Gebäck geholt, und Karl mußte von Europa erzählen, allerdings mit vielen Unterbrechungen von seiten der Oberköchin, die immer wieder fragte und staunte, wodurch sie Karl zu Bewußtsein brachte, wie vieles sich dort in verhältnismäßig kurzer Zeit von Grund aus geändert hatte und wie vieles wohl auch schon seit seiner Abwesenheit anders geworden war und immerfort anders wurde. Karl mochte etwa einen Monat in Ramses gewesen sein, als ihm eines Abends Renell im Vorübergehen sagte, er sei vor dem Hotel von einem Mann mit Namen Delamarche angesprochen und nach Karl ausgefragt worden. Renell habe nun keinen Grund gehabt, etwas zu verschweigen, und habe der Wahrheit gemäß erzählt, daß Karl Liftjunge sei, jedoch Aussicht habe, infolge der Protektion der Oberköchin noch ganz andere Stellen zu bekommen. Karl merkte, wie vorsichtig Renell von Delamarche behandelt worden war, der ihn sogar für diesen Abend zu einem gemeinsamen Nachtmahl eingeladen hatte. »Ich habe nichts mehr mit Delamarche zu tun«, sagte Karl, »nimm du dich nur auch vor ihm in acht!« »Ich?« sagte Renell, streckte sich und eilte weg. Er war der zierlichste Junge im Hotel, und es ging unter den anderen Jungen, ohne daß man den Urheber wußte, das Gerücht um, daß er von einer vornehmen Dame, die schon längere Zeit im Hotel wohnte, im Lift zumindest abgeküßt worden sei. Für den, der das Gerücht kannte, hatte es unbedingt einen großen Reiz, jene selbstbewußte Dame, in deren Äußerem nicht das geringste die Möglichkeit eines solchen Benehmens ahnen ließ, mit ihren ruhigen, leichten Schritten, zarten Schleiern, streng geschnürter Taille an sich vorübergehen zu sehen. Sie wohnte im ersten Stock, und Renells Lift war nicht der ihre, aber man konnte natürlich, wenn die anderen Lifts augenblicklich besetzt waren, solchen Gästen den Eintritt in einen anderen Lift nicht verwehren. So kam es, daß diese Dame hie und da in Karls und Renells Lift fuhr, und tatsächlich immer 102
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Amerika
Title
Amerika
Author
Franz Kafka
Date
1927
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
212
Keywords
Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Der Heizer 3
  2. Der Onkel 26
  3. Ein Landhaus bei New York 38
  4. Weg nach Ramses 67
  5. Hotel Occidental 89
  6. Der Fall Robinson 105
  7. Ein Asyl 137
  8. Das Naturtheater von Oklahoma 182
  9. Fragmente 199
    1. I. 199
    2. II. Ausreise Bruneldas 208
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