Page - 109 - in Amerika
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die Augen müssen Sie offenhalten, ich kann Sie da nicht wie einen
Todkranken herumführen.«
»Ich will ja alles tun, was Sie für recht halten«, sagte Robinson, »aber Sie
allein werden mich nicht führen können. Könnten Sie nicht noch Renell
holen?«
»Renell ist nicht hier«, sagte Karl.
»Ach ja«, sagte Robinson, »Renell ist mit Delamarche beisammen. Die
beiden haben mich ja nach Ihnen ausgeschickt. Ich verwechsle schon alles.«
Karl benützte diese und noch andere unverständliche Selbstgespräche
Robinsons, um ihn vorwärts zu schieben, und kam mit ihm auch glücklich bis
zu einer Ecke, von der aus ein etwas schwächer beleuchteter Gang zum
Schlafsaal der Liftjungen führte. Gerade jagte in vollem Lauf ein Liftjunge
auf sie zu und an ihnen vorüber. Im übrigen hatten sie bis jetzt nur
ungefährliche Begegnungen gehabt; zwischen vier und fünf Uhr war nämlich
die stillste Zeit, und Karl hatte wohl gewußt, daß, wenn ihm das Wegschaffen
Robinsons jetzt nicht gelänge, in der Morgendämmerung und im beginnenden
Tagesverkehr überhaupt nicht mehr daran zu denken wäre.
Im Schlafsaal war am anderen Ende des Saales gerade eine große Rauferei
oder sonstige Veranstaltung im Gange, man hörte rhythmisches
Händeklatschen, aufgeregtes Füßetrappeln und sportliche Zurufe. In der bei
der Tür gelegenen Saalhälfte sah man in den Betten nur wenige unbeirrte
Schläfer, die meisten lagen auf dem Rücken und starrten in die Luft, während
hie und da einer, bekleidet oder unbekleidet, wie er gerade war, aus dem Bett
sprang, um nachzusehen, wie die Dinge am anderen Saalende standen. So
brachte Karl Robinson, der sich an das Gehen inzwischen ein wenig gewöhnt
hatte, ziemlich unbeachtet in Renells Bett, da es der Türe sehr nahe lag und
glücklicherweise nicht besetzt war, während in seinem eigenen Bett, wie er
aus der Ferne sah, ein fremder Junge, den er gar nicht kannte, ruhig schlief.
Kaum fühlte Robinson das Bett unter sich, als er sofort – ein Bein baumelte
noch aus dem Bett heraus – einschlief. Karl zog ihm die Decke weit über das
Gesicht und glaubte, sich wenigstens für die nächste Zeit keine Sorgen
machen zu müssen, da Robinson gewiß nicht vor sechs Uhr früh erwachen
würde, und bis dahin würde er wieder hier sein und dann, vielleicht schon mit
Renell, ein Mittel finden, um Robinson wegzubringen. Eine Inspektion des
Schlafsaales durch irgendwelche höheren Organe gab es nur in
außerordentlichen Fällen, die Abschaffung der früher üblichen allgemeinen
Inspektion hatten die Liftjungen schon vor Jahren durchgesetzt, es war also
auch von dieser Seite nichts zu fürchten.
Als Karl wieder bei seinem Aufzug angelangt war, sah er, daß sowohl sein
Aufzug als auch jener seines Nachbarn gerade in die Höhe fuhren. Unruhig
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik