Page - 110 - in Amerika
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wartete er darauf, wie sich das aufklären würde. Sein Aufzug kam früher
herunter, und es entstieg ihm jener Junge, der vor einem Weilchen durch den
Gang gelaufen war.
»Ja, wo bist du denn gewesen, Roßmann?« fragte dieser. »Warum bist du
weggegangen? Warum hast du es nicht gemeldet?«
»Aber ich habe ihm doch gesagt, daß er mich ein Weilchen vertreten soll«,
antwortete Karl und zeigte auf den Jungen vom Nachbarlift, der gerade
herankam. »Ich habe ihn doch auch zwei Stunden lang während des größten
Verkehrs vertreten.«
»Das ist alles sehr gut«, sagte der Angesprochene, »aber das genügt doch
nicht. Weißt du denn nicht, daß man auch die kürzeste Abwesenheit während
des Dienstes im Büro des Oberkellners melden muß? Dazu hast du ja das
Telephon da. Ich hätte dich schon gerne vertreten, aber du weißt ja, daß das
nicht so leicht ist. Gerade waren vor beiden Lifts neue Gäste vom Vier-Uhr-
dreißig-Expreßzug. Ich konnte doch nicht zuerst mit deinem Lift laufen und
meine Gäste warten lassen, so bin ich also zuerst mit meinem Lift
hinaufgefahren!«
»Nun?« fragte Karl gespannt, da beide Jungen schwiegen.
»Nun«, sagte der Junge vom Nachbarlift, »da geht gerade der Oberkellner
vorüber, sieht die Leute vor deinem Lift ohne Bedienung, bekommt Galle,
fragt mich, der ich gleich hergerannt bin, wo du steckst, ich habe keine
Ahnung davon, denn du hast mir ja gar nicht gesagt, wohin du gehst, und so
telephoniert er gleich in den Schlafsaal, daß sofort ein anderer Junge
herkommen soll.«
»Ich habe dich ja noch im Gang getroffen«, sagte Karls Ersatzmann. Karl
nickte.
»Natürlich«, beteuerte der andere Junge, »habe ich gleich gesagt, daß du
mich um deine Vertretung gebeten hast, aber hört denn der auf solche
Entschuldigungen? Du kennst ihn wahrscheinlich noch nicht. Und wir sollten
dir ausrichten, daß du sofort ins Büro kommen sollst. Also halte dich lieber
nicht auf und lauf hin. Vielleicht verzeiht er es dir noch, du warst ja wirklich
nur zwei Minuten weg. Berufe dich nur ruhig darauf, daß du mich um
Vertretung gebeten hast. Davon, daß du mich vertreten hast, rede lieber nicht,
laß dir raten, mir kann nichts geschehen, ich hatte Erlaubnis, aber es ist nicht
gut, von einer solchen Sache zu reden und sie noch in diese Angelegenheit zu
mischen, mit der sie nichts zu tun hat.«
»Es ist das erstemal gewesen, daß ich meinen Posten verlassen habe«, sagte
Karl.
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik