Page - 112 - in Amerika
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Karls Anwesenheit gestört, vielleicht hatte er irgendeine geheime Nachricht
oder Bitte vorzutragen, jedenfalls sah er alle Augenblicke bös und mit steif
geneigtem Kopf nach Karl hin, um sich dann, wenn er, offenbar seiner
Absicht entsprechend, mit Karls Blicken zusammengetroffen war, wieder dem
Oberkellner zuzuwenden. Karl aber glaubte, es würde sich nicht gut
ausnehmen, wenn er jetzt, da er nun schon einmal hier war, das Büro wieder
verließe, ohne vom Oberkellner den Befehl hierzu erhalten zu haben. Dieser
aber studierte weiter das Verzeichnis und aß zwischendurch von einem Stück
Kuchen, von dem er hie und da, ohne im Lesen innezuhalten, den Zucker
abschüttelte. Einmal fiel ein Blatt des Verzeichnisses zu Boden, der Portier
machte nicht einmal den Versuch, es aufzuheben, er wußte, daß er es nicht
zustande brächte, es war auch nicht nötig, denn Karl war schon zur Stelle und
reichte das Blatt dem Oberkellner, der es ihm mit einer Handbewegung
abnahm, als sei es von selbst vom Boden aufgeflogen. Die ganze kleine
Dienstleistung hatte nichts genützt, denn der Portier hörte auch weiterhin mit
seinen bösen Blicken nicht auf.
Trotzdem war Karl gefaßter als früher. Schon daß seine Sache für den
Oberkellner so wenig Wichtigkeit zu haben schien, konnte man für ein gutes
Zeichen halten. Es war schließlich auch nur begreiflich. Natürlich bedeutet
ein Liftjunge gar nichts und darf sich deshalb nichts erlauben, aber eben
deshalb, weil er nichts bedeutet, kann er auch nichts Außergewöhnliches
anstellen. Schließlich war der Oberkellner in seiner Jugend selbst Liftjunge
gewesen – was noch der Stolz dieser Generation von Liftjungen war –, er war
es gewesen, der die Liftjungen zum erstenmal organisiert hatte, und gewiß hat
auch er einmal ohne Erlaubnis seinen Posten verlassen, wenn ihn auch jetzt
allerdings niemand zwingen konnte, sich daran zu erinnern, und wenn man
auch nicht außer acht lassen durfte, daß er, gerade als gewesener Liftjunge,
darin seine Pflicht sah, diesen Stand durch zeitweilig unnachsichtliche
Strenge in Ordnung zu halten. Nun setzte aber Karl außerdem seine Hoffnung
auf das Vorrücken der Zeit. Nach der Bürouhr war es schon viertel sechs,
jeden Augenblick konnte Renell zurückkehren, vielleicht war er sogar schon
da, denn es mußte ihm doch aufgefallen sein, daß Robinson nicht
zurückgekommen war, übrigens konnten sich Delamarche und Renell gar
nicht weit vom Hotel Occidental aufgehalten haben, wie Karl jetzt einfiel,
denn sonst hätte auch Robinson in seinem elenden Zustand den Weg hierher
nicht gefunden. Wenn nun Renell Robinson in seinem Bett antraf, was doch
geschehen mußte, dann war alles gut. Denn praktisch, wie Renell war,
besonders wenn es sich um seine Interessen handelte, würde er schon
Robinson irgendwie gleich aus dem Hotel entfernen, was ja um so leichter
geschehen konnte, als Robinson sich inzwischen ein wenig gestärkt hatte und
überdies wahrscheinlich Delamarche vor dem Hotel wartete, um ihn in
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik