Page - 113 - in Amerika
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Empfang zu nehmen. Wenn aber Robinson einmal entfernt war, dann konnte
Karl dem Oberkellner viel ruhiger entgegentreten und für diesmal vielleicht
noch mit einer, wenn auch schweren, Rüge davonkommen. Dann würde er
sich mit Therese beraten, ob er der Oberköchin die Wahrheit sagen dürfe – er
für seinen Teil sah kein Hindernis –, und wenn das möglich war, würde die
Sache ohne besonderen Schaden aus der Welt geschafft sein.
Gerade hatte sich Karl durch solche Überlegungen ein wenig beruhigt und
machte sich daran, das in dieser Nacht eingenommene Trinkgeld unauffällig
zu überzählen, denn es schien ihm dem Gefühl nach besonders reichlich
gewesen zu sein, als der Oberkellner das Verzeichnis mit den Worten »Warten
Sie noch, bitte, einen Augenblick, Feodor«, auf den Tisch legte, elastisch
aufsprang und Karl so laut anschrie, daß dieser erschrocken vorerst nur in das
große, schwarze Mundloch starrte.
»Du hast deinen Posten ohne Erlaubnis verlassen. Weißt du, was das
bedeutet? Das bedeutet Entlassung. Ich will keine Entschuldigung hören,
deine erlogenen Ausreden kannst du für dich behalten, mir genügt vollständig
die Tatsache, daß du nicht da warst. Wenn ich das einmal dulde und verzeihe,
werden nächstens alle vierzig Liftjungen während des Dienstes davonlaufen,
und ich kann meine fünftausend Gäste allein die Treppe hinauftragen.«
Karl schwieg. Der Portier war näher gekommen und zog das Röckchen
Karls, das einige Falten warf, ein wenig tiefer, zweifellos um den Oberkellner
auf diese kleine Unordentlichkeit im Anzug Karls besonders aufmerksam zu
machen.
»Ist dir vielleicht plötzlich schlecht geworden?« fragte der Oberkellner
listig.
Karl sah ihn prüfend an und antwortete: »Nein.«
»Also nicht einmal schlecht ist dir geworden?« schrie der Oberkellner
desto stärker. »Also dann mußt du ja irgendeine großartige Lüge erfunden
haben. Welche Entschuldigung hast du? Heraus damit.«
»Ich habe nicht gewußt, daß man telephonisch um Erlaubnis bitten muß«,
sagte Karl.
»Das ist allerdings köstlich«, sagte der Oberkellner, faßte Karl beim
Rockkragen und brachte ihn fast in der Schwebe vor eine Dienstordnung der
Lifts, die an der Wand aufgenagelt war. Auch der Portier ging hinter ihnen zur
Wand hin. »Da, lies!« sagte der Oberkellner und zeigte auf einen
Paragraphen. Karl glaubte, er solle es für sich lesen. »Laut!« kommandierte
aber der Oberkellner.
Statt laut zu lesen, sagte Karl, in der Hoffnung, damit den Oberkellner
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik