Page - 119 - in Amerika
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schon nach Anhören der ersten Worte. »Das ist ja unerhört!« rief er nach
einem Weilchen. Und vom Telephon weg wandte er sich zum Hotelportier
und sagte: »Bitte, Feodor, halt mal diesen Burschen ein wenig, wir werden
noch mit ihm zu reden haben.« Und ins Telephon gab er den Befehl: »Komm
sofort herauf.«
Nun konnte sich der Oberportier wenigstens austoben, was ihm beim
Reden nicht hatte gelingen wollen. Er hielt Karl oben am Arm fest, aber nicht
etwa mit ruhigem Griff, der schließlich auszuhalten gewesen wäre, sondern er
lockerte hie und da den Griff und machte ihn dann mit Steigerung fester und
fester, was bei seinen großen Körperkräften gar nicht aufzuhören schien und
ein Dunkel vor Karls Augen verursachte. Aber er hielt Karl nicht nur, sondern
als hätte er auch den Befehl bekommen, ihn gleichzeitig zu strecken, zog er
ihn auch hie und da in die Höhe und schüttelte ihn, wobei er immer wieder
halb fragend zum Oberkellner sagte: »Ob ich ihn jetzt nur nicht verwechsle,
ob ich ihn jetzt nur nicht verwechsle.«
Es war eine Erlösung für Karl, als der oberste der Liftjungen, ein gewisser
Beß, ein ewig fauchender, dicker Junge, eintrat, und die Aufmerksamkeit des
Oberportiers ein wenig auf sich lenkte. Karl war so ermattet, daß er kaum
grüßte, als er zu seinem Erstaunen hinter dem Jungen Therese, leichenblaß,
unordentlich angezogen, mit lose aufgesteckten Haaren, hereinschlüpfen sah.
Im Augenblick war sie bei ihm und flüsterte: »Weiß es schon die
Oberköchin?«
»Der Oberkellner hat es ihr telephoniert«, antwortete Karl.
»Dann ist es schon gut, dann ist es schon gut«, sagte sie rasch, mit
lebhaften Augen.
»Nein«, sagte Karl. »Du weißt ja nicht, was sie gegen mich haben. Ich muß
weg, die Oberköchin ist davon auch schon überzeugt. Bitte, bleib nicht hier,
geh hinauf, ich werde mich dann von dir verabschieden kommen.«
»Aber, Roßmann, was fällt dir denn ein, du wirst schön bei uns bleiben,
solange es dir gefällt. Der Oberkellner macht ja alles, was die Oberköchin
will, er liebt sie ja, ich habe es letzthin erfahren. Da sei nur ruhig.«
»Bitte, Therese, geh jetzt weg. Ich kann mich nicht so gut verteidigen,
wenn du hier bist. Und ich muß mich genau verteidigen, weil Lügen gegen
mich vorgebracht werden. Je besser ich aber aufpassen und mich verteidigen
kann, desto mehr Hoffnung ist, daß ich bleibe. Also, Therese –« Leider
konnte er in einem plötzlichen Schmerz nicht unterlassen, leise hinzuzufügen:
»Wenn mich nur dieser Oberportier losließe! Ich wußte gar nicht, daß er mein
Feind ist. Aber wie er mich immerfort drückt und zieht!« ›Warum sage ich
das nur!‹ dachte er gleichzeitig, ›kein Frauenzimmer kann das ruhig anhören‹,
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik