Page - 120 - in Amerika
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und tatsächlich wandte sich Therese, ohne daß er sie noch mit der freien Hand
hätte davon abhalten können, an den Oberportier: »Herr Oberportier, bitte,
lassen Sie doch sofort den Roßmann frei, Sie machen ihm ja Schmerzen. Die
Frau Oberköchin wird gleich persönlich kommen, und dann wird man schon
sehen, daß ihm in allem Unrecht geschieht. Lassen Sie ihn los; was kann es
Ihnen denn für ein Vergnügen machen, ihn zu quälen!« Und sie griff sogar
nach des Oberportiers Hand. »Befehl, kleines Fräulein, Befehl«, sagte der
Oberportier und zog mit der freien Hand Therese freundlich an sich, während
er mit der anderen Karl nun sogar angestrengt drückte, als wolle er ihm nicht
nur Schmerzen machen, sondern als habe er mit diesem in seinem Besitz
befindlichen Arm ein besonderes Ziel, das noch lange nicht erreicht sei.
Therese brauchte einige Zeit, um sich der Umarmung des Oberportiers zu
entwinden, und wollte sich gerade beim Oberkellner, der sich noch immer
von dem sehr umständlichen Beß erzählen ließ, für Karl einsetzen, als die
Oberköchin mit raschem Schritte eintrat.
»Gott sei Dank!« rief Therese und man hörte einen Augenblick lang im
Zimmer nichts als diese lauten Worte. Gleich sprang der Oberkellner auf und
schob Beß zur Seite.
»Sie kommen also selbst, Frau Oberköchin? Wegen dieser Kleinigkeit?
Nach unserem Telephongespräch konnte ich es ja ahnen, aber geglaubt habe
ich es eigentlich doch nicht. Und dabei wird die Sache Ihres Schützlings
immerfort ärger. Ich fürchte, ich werde ihn tatsächlich nicht entlassen, aber
dafür einsperren lassen müssen. Hören Sie selbst.« Und er winkte Beß herbei.
»Ich möchte zuerst ein paar Worte mit dem Roßmann reden«, sagte die
Oberköchin und setzte sich auf einen Sessel, da sie der Oberkellner hierzu
nötigte.
»Karl, bitte, komm näher«, sagte sie dann. Karl folgte oder wurde vielmehr
vom Oberportier näher geschleppt. »Lassen Sie ihn doch los«, sagte die
Oberköchin ärgerlich, »er ist doch kein Raubmörder!« Der Oberportier ließ
ihn tatsächlich los, drückte aber vorher noch einmal so stark, daß ihm selbst
vor Anstrengung die Tränen in die Augen traten.
»Karl«, sagte die Oberköchin, legte die Hände ruhig in den Schoß und sah
Karl mit geneigtem Kopfe an – es war gar nicht wie ein Verhör –, »vor allem
will ich dir sagen, daß ich noch vollständiges Vertrauen zu dir habe. Auch der
Herr Oberkellner ist ein gerechter Mann, dafür bürge ich. Wir beide wollen
dich im Grunde gerne hier behalten« – sie sah hierbei flüchtig zum
Oberkellner hinüber, als wolle sie bitten, ihr nicht ins Wort zu fallen. Es
geschah auch nicht. »Vergiß also, was man dir bis jetzt vielleicht hier gesagt
hat. Vor allem, was dir vielleicht der Herr Oberportier gesagt hat, mußt du
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik