Page - 121 - in Amerika
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nicht besonders schwer nehmen. Er ist zwar ein aufgeregter Mann, was bei
seinem Dienst kein Wunder ist, aber hat auch Frau und Kinder und weiß, daß
man einen Jungen, der nur auf sich angewiesen ist, nicht unnötig plagen muß,
sondern daß das schon die übrige Welt genügend besorgt.«
Es war ganz still im Zimmer. Der Oberportier sah, Erklärungen fordernd, auf
den Oberkellner, dieser sah auf die Oberköchin und schüttelte den Kopf. Der
Liftjunge Beß grinste recht sinnlos hinter dem Rücken des Oberkellners.
Therese schluchzte vor Freude und Leid in sich hinein und hatte alle Mühe, es
niemanden hören zu lassen.
Karl aber blickte, obwohl das nur als schlechtes Zeichen aufgefaßt werden
konnte, nicht auf die Oberköchin, die gewiß nach seinem Blick verlangte,
sondern vor sich auf den Fußboden. In seinem Arm zuckte der Schmerz nach
allen Richtungen, das Hemd klebte an den Striemen fest, und er hätte
eigentlich den Rock ausziehen und die Sache besehen sollen. Was die
Oberköchin sagte, war natürlich sehr freundlich gemeint, aber
unglücklicherweise schien es ihm, als müsse es gerade durch das Verhalten
der Oberköchin zutage treten, daß er keine Freundlichkeit verdiene, daß er die
Wohltaten der Oberköchin zwei Monate unverdient genossen habe, ja, daß er
nichts anderes verdiene, als unter die Hände des Oberportiers zu kommen.
»Ich sage das«, fuhr die Oberköchin fort, »damit du jetzt unbeirrt
antwortest, was du übrigens wahrscheinlich auch sonst getan hättest, wie ich
dich zu kennen glaube.«
»Darf ich, bitte, inzwischen den Arzt holen, der Mann könnte nämlich
inzwischen verbluten«, mischte sich plötzlich der Liftjunge Beß sehr höflich,
aber sehr störend ein.
»Geh«, sagte der Oberkellner zu Beß, der gleich davonlief. Und dann zur
Oberköchin: »Die Sache ist die. Der Oberportier hat den Jungen da nicht zum
Spaß festgehalten. Unten, im Schlafsaal der Liftjungen, ist nämlich in einem
Bett sorgfältig zugedeckt ein wildfremder, schwer betrunkener Mann
aufgefunden worden. Man hat ihn natürlich geweckt und wollte ihn
wegschaffen. Da hat dieser Mann aber einen großen Radau zu machen
angefangen, immer wieder herumgeschrien, der Schlafsaal gehöre dem Karl
Roßmann, dessen Gast er sei, der ihn hergebracht habe und der jeden
bestrafen werde, der ihn anzurühren wagen würde. Im übrigen müsse er auch
deshalb auf den Karl Roßmann warten, weil ihm dieser Geld versprochen
habe und es nur holen gegangen sei. Achten Sie, bitte, darauf, Frau
Oberköchin: Geld versprochen habe und es holen gegangen sei. Du kannst
auch achtgeben, Roßmann«, sagte der Oberkellner nebenbei zu Karl, der sich
gerade nach Therese umgedreht hatte, die wie gebannt den Oberkellner
anstarrte und immer wieder entweder irgendwelche Haare aus der Stirn strich
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik