Page - 128 - in Amerika
Image of the Page - 128 -
Text of the Page - 128 -
müßte ich dich einsperren lassen.«
Der Oberportier sah auffallend streng zur Oberköchin hinüber, denn er
hatte wohl erkannt, daß sie die Ursache dieser allzu milden Behandlung war.
»Jetzt geh zu Beß, zieh dich um, übergib Beß deine Livree und verlasse
sofort, aber sofort das Haus.«
Die Oberköchin schloß die Augen, sie wollte damit Karl beruhigen.
Während er sich zum Abschied verbeugte, sah er flüchtig, wie der
Oberkellner die Hand der Oberköchin wie im geheimen umfaßte und mit ihr
spielte. Der Oberportier begleitete Karl mit schweren Schritten bis zur Tür,
die er ihn nicht schließen ließ, sondern selbst noch offen hielt, um Karl
nachschreien zu können: »In einer Viertelminute will ich dich beim Haupttor
an mir vorübergehen sehen! Merk dir das!«
Karl beeilte sich, wie er nur konnte, um nur beim Haupttor eine
Belästigung zu vermeiden, aber es ging alles viel langsamer, als er wollte.
Zuerst war Beß nicht gleich zu finden und jetzt, in der Frühstückszeit, war
alles voll Menschen, dann zeigte sich, daß ein Junge sich Karls alte Hosen
ausgeborgt hatte, und Karl mußte die Kleiderständer bei fast allen Betten
absuchen, ehe er diese Hosen fand, so daß wohl fünf Minuten vergangen
waren, ehe Karl zum Haupttor kam. Gerade vor ihm ging eine Dame mitten
zwischen vier Herren. Sie gingen alle auf ein großes Automobil zu, das sie
erwartete und dessen Schlag bereits ein Lakai geöffnet hielt, während er den
freien linken Arm seitwärts waagrecht und steif ausstreckte, was höchst
feierlich aussah. Aber Karl hatte umsonst gehofft, hinter dieser vornehmen
Gesellschaft unbemerkt hinauszukommen. Schon faßte ihn der Oberportier
bei der Hand und zog ihn zwischen zwei Herren hindurch, die er um
Verzeihung bat, zu sich hin.
»Das soll eine Viertelminute gewesen sein«, sagte er und sah Karl von der
Seite an, als beobachte er eine schlecht gehende Uhr. »Komm einmal her«,
sagte er dann und führte ihn in die große Portierloge, die Karl zwar schon
längst einmal anzusehen Lust gehabt hatte, in die er aber jetzt, von dem
Portier geschoben, nur mit Mißtrauen eintrat. Er war schon in der Tür, als er
sich umwandte und den Versuch machte, den Oberportier wegzuschieben und
wegzukommen.
»Nein, nein, hier geht man hinein«, sagte der Oberportier und drehte Karl
um.
»Ich bin doch schon entlassen«, sagte Karl und meinte damit, daß ihm im
Hotel niemand mehr etwas zu befehlen habe.
»Solange ich dich halte, bist du nicht entlassen«, sagte der Portier, was
128
back to the
book Amerika"
Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik