Page - 140 - in Amerika
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offenbar darüber sprach, wie er am besten herausbefördert werden könnte.
Karl sah sich unbeobachtet, vielleicht duldete Delamarche ein
stillschweigendes Fortgehen leichter; wenn Streit vermieden werden konnte,
war es natürlich am besten, und so ging Karl einfach in die Fahrbahn hinein,
um möglichst rasch wegzukommen. Die Kinder strömten zu Delamarche, um
ihn auf Karls Flucht aufmerksam zu machen, aber er mußte selbst gar nicht
eingreifen, denn der Polizeimann sagte mit vorgestrecktem Stabe: »Halt!«
»Wie heißt du?« fragte er, schob den Stab unter den Arm und zog langsam
ein Buch hervor. Karl sah ihn jetzt zum erstenmal genauer an, es war ein
kräftiger Mann, hatte aber schon fast ganz weißes Haar.
»Karl Roßmann«, sagte er.
»Roßmann«, wiederholte der Polizeimann, zweifellos nur, weil er ein
ruhiger und gründlicher Mensch war, aber Karl, der es hier eigentlich zum
erstenmal mit amerikanischen Behörden zu tun bekam, sah schon in dieser
Wiederholung das Aussprechen eines gewissen Verdachtes. Und tatsächlich
konnte seine Sache nicht gut stehen, denn selbst Robinson, der doch so sehr
mit seinen eigenen Sorgen beschäftigt war, bat aus dem Wagen heraus mit
stummen lebhaften Handbewegungen den Delamarche, er möge Karl doch
helfen. Aber Delamarche wehrte ihn mit hastigem Kopfschütteln ab und sah
untätig zu, die Hände in seinen übergroßen Taschen. Der Bursche auf dem
Türstein erklärte einer Frau, die jetzt erst aus dem Tore trat, den ganzen
Sachverhalt von allem Anfang an. Die Kinder standen in einem Halbkreis
hinter Karl und sahen still zum Polizeimann hinauf.
»Zeig deine Ausweispapiere«, sagte der Polizeimann. Das war wohl nur
eine formelle Frage; denn wenn man keinen Rock hat, wird man auch nicht
viel Ausweispapiere bei sich haben. Karl schwieg deshalb, um lieber auf die
nächste Frage ausführlich zu antworten und so den Mangel der
Ausweispapiere möglichst zu vertuschen.
Aber die nächste Frage war: »Du hast also keine Ausweispapiere?« und
Karl mußte antworten: »Bei mir nicht.«
»Das ist aber schlimm«, sagte der Polizeimann, sah nachdenklich im Kreise
umher und klopfte mit zwei Fingern auf den Deckel seines Buches. »Hast du
irgendeinen Verdienst?« fragte der Polizeimann schließlich.
»Ich war Liftjunge«, sagte Karl.
»Du warst Liftjunge, bist es also nicht mehr, und wovon lebst du denn
jetzt?«
»Jetzt werde ich mir eine neue Arbeit suchen.«
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Amerika
- Title
- Amerika
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1927
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Categories
- Weiteres Belletristik